Texterklärung

Diese persönliche Begegnung von Zachäus mit Jesus findet sich nur bei Lukas. Sie steht an prominenter Stelle – am Ende des Weges Jesu nach Jerusalem, wo seine Erdenzeit durch Tod und Auferstehung zu Ende gehen wird. Beispielhaft wird hier christliches Handeln als Kontrast zur Ausgrenzung der damaligen (frommen) Gesellschaft dargestellt. Zachäus möchte sich mit dieser Situation nicht abfinden und sucht auf kreative Weise, in Kontakt mit Jesus zu kommen. Und Jesus nimmt ihn wahr.

Die Zoll- und Grenzstadt Jericho war damals ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt verschiedener Karawanenrouten für alle, die vom Ostjordanland Richtung Judäa unterwegs waren. Die Zollbeamten waren nicht nur für sie, sondern auch für die jährlichen Steuereinnahmen der Bewohner zuständig. Dieses Geld ging an das römische Imperium. Deshalb waren die Zollbeamten Angestellte des römischen Staates und meist bei den jüdischen Mitbürgern – vor allem bei den frommen Juden – nicht sehr beliebt. Jesus kommt also vom Jordan her nach Jericho hinein.

Am Rande stehen

Unser sehr bekannter Textabschnitt, dem man vermutlich in jeder Kindergruppe schon mal begegnet ist, gehört zu dem Teil des Lukasevangeliums (Lk 15-19), der auch als „Evangelium der Ausgestoßenen“ bezeichnet wird. Fast alle Personen, die dort beschrieben werden, standen nicht gerade im Mittelpunkt der damaligen Gesellschaft (unehrlicher Verwalter, verlorener Sohn).

Jesus hat in seiner Zeit auf der Erde gerade die im Blick gehabt, die damals eher am Rand standen und nicht dazugehörten! Wie ist das bei uns? Wie gehen wir mit Menschen um, die nicht unserem Gemeinde- und Gemeinschaftskodex entsprechen? Die so ganz anders sind und nicht kompatibel zu sein scheinen. Könnte es sein, dass Gott gerade sie uns vor die Füße gelegt und auf einen Baum in unserem Blickfeld gesetzt hat? Sind wir bereit, unsere wohldurchdachten und gut geplanten Programme zu durchbrechen, unsere Vorstellungen durchkreuzen zu lassen? Haben wir überhaupt noch Zeit und Muße, einen Blick in ungewöhnliche, eher unscheinbare Bereiche in unserem Umfeld zu richten oder sind wir so beschäftigt mit unseren Programmen, dass gar keine Zeit und Kraft für anderes bleibt?

Nicht mehr übersehen werden

Zachäus, der Oberzöllner, einer aus der Führungsetage, bei dem der Satz: „Je mehr man hat, je mehr man will.“ Programm zu sein scheint! Die Sucht nach immer mehr hat ihn zu einem einsamen Mann gemacht, der aber Sehnsucht hat, von jemanden um seiner selbst willen beachtet und gesehen zu werden. Ihm scheint bewusst zu sein, dass ihn das Publikum, das sich sonst um Jesus schart, nicht in ihrer Nähe dulden würde. Deshalb wählt er seinen exklusiven, doch wohl auch damals eher ungewöhnlichen Beobachtungsplatz! Und genau da holt Jesus ihn ab. Er sieht hinter seine Fassade und spürt seine tiefste Lebenssehnsucht. Seine Begegnung mit Jesus macht aus dem Verlorenen einen Geretteten.

Verändert werden

Ohne Vorbedingung ist er bei ihm zu Gast. Er lässt sich nicht von der Empörung der Menschen um ihn herum beeinflussen. Und dieser Besuch von Jesus verändert alles: Zachäus wird vom Ausbeuter zum selbstlosen Spender. Jesus hat seinem Leben eine neue Richtung gegeben. Und nicht nur für ihn selbst, auch für seine ganzen Familie – alle Nachkommen Abrahams – ändert sich alles. Genau diese Abstammung war damals wie heute das wichtigste Identitätsmerkmal für die Juden. Zachäus bekommt von Jesus seine wahre Identität wieder zugesprochen. Mit den Worten: „Denn er ist Abrahams Sohn“ (Lk 19,9), sagt Jesus mehr aus als die „stammbaummäßige“ Abstammung Abrahams. Er spricht ihm den Glauben an den zu, der Abrahams Nachkomme verheißen wurde: Jesus Christus (vgl. 1Mo 22,18; Gal 3,16). Dass Zachäus Jesus mit Freuden aufnahm, ist hier wohl noch viel tiefergehender und das ganze Leben umfassend zu verstehen: Zachäus hat Jesus als den Messias, den Retter, in sein Herz und in sein Leben eingeladen. Allein aus Gnade! Und Jesus stellt keine Vorbedingungen.

Interessant könnte es sein, diese bekannte Geschichte nicht aus der Bibel vorzulesen, sondern aus einem
anderen Blickwinkel zu erzählen, z. B. aus der Sicht einer Katze, die ebenfalls im Baum sitzt und sich fragt,
was der Mann da macht.

Fragen zum Gespräch
  • Wie ist die Reaktion der „Frommen“, warum nehmen sie Anstoß am Verhalten von Jesus?
  • Was können wir von Jesus für Gespräche mit Menschen lernen?
  • Warum ist Zachäus bereit, die Hälfte seines Besitzes den Armen zu geben und sogar eine vierfache Summe dessen zu erstatten, was er gestohlen hat?

Esther Knauf-Mesmer

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