Wir haben eine Theologin und einen Theologen aus unterschiedlichen Generationen gefragt, was sie aus ihrer Lebensgeschichte heraus mit Jesus verbinden sowie ob und wie Menschen heute nach Jesus fragen. Im nachfolgenden Gespräch lassen uns Maike Sachs und Clemens Hanßmann daran Anteil nehmen. Maike Sachs ist Pfarrerin und Studienleiterin im Albrecht-Bengel-Haus. Clemens Hanßmann ist Pfarrer und promoviert im Fach Interkulturelle Theologie und Missionswissenschaft.

Was hat dich in deinem Leben als erstes an Jesus überzeugt?

Clemens Hanßmann: “Ich war schon früh fasziniert von einem Jesus, der Wunder tut. Einer, der den Sturm stillt und den Blinden heilt. Jesus war für mich deshalb vor allem der ‚Starke‘. Einer, an dem man sich festhalten kann und der mächtiger ist als alles auf der Welt.”

Maike Sachs: „Jesus ist da. Er lebt. Er ist Realität. Das war bei mir am Anfang auch wichtig. Bei mir gab es eine Initialzündung im Gebet. Da habe ich Jesus in der Angst gebraucht. Später erst kam dazu, dass Jesus mir die Schuld nimmt und mein Gewissen heilt.“

Clemens Hanßmann: “Wichtig waren für mich auch immer Momente, die ich ‚Gnadenmomente‘ nenne. Die Erkenntnis, Jesu Liebe gilt auch mir, obwohl ich sie nicht verdiene. Ich erinnere mich an solche Momente im Seminar, im Lobpreis, im Gebet.”

Fragen Menschen heute anders nach Jesus als früher?

Maike Sachs: „Jesus als der Mann am Kreuz scheint in den Hintergrund getreten zu sein, weil die Schuldfrage nicht mehr am Anfang steht. Für die Generation nach dem Zweiten Weltkrieg stand sie im Mittelpunkt. Zum einen gab es nach den traumatischen Erlebnissen viel zu verarbeiten, aktive Vergehen, aber auch das schlechte Gewissen, überlebt zu haben. Außerdem war diese Generation stark von Gehorsam und Unterordnung geprägt. Da wollte man auch in der Beziehung zu Gott alles richtig machen.“

Clemens Hanßmann: “Heute fragen junge Leute eher: Was bringt mir Jesus im Alltag? Demgegenüber ist für die jüngere Generation das Thema Sündenvergebung nicht unbedingt einfach zu verstehen. Da heißt es oft: Ich bin doch ein guter Mensch. Warum brauche ich die Vergebung Gottes?“

Maike Sachs: „Es ist angesagt, sich gegenseitig zu bestätigen, Gaben und Erfolge zu fördern. Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, die Entdeckung, dass der Schöpfer uns wundervoll erdacht hat. Das alles hat etwas Gutes. Es wirkt wie eine Gegenbewegung gegen allzu viel Bescheidenheit und Selbstverleugnung. Allerdings hat es die Frage dabei schwer, wie ich Gott genügen kann.“

Clemens Hanßmann: „Ja, das beobachte ich auch. Heute wird in vielen Fällen nach einem Jesus gesucht,
der einem ganz nahe ist, der mit einem geht. Einer, der spürbar ist, mit dem ich emotional verbunden bin. Allerdings höre ich damit verbunden auch oft die Frage: Was ist, wenn ich Jesus nicht spüre? Was trägt dann? Themen, die auf den ersten Blick keinen Alltagsbezug haben, rücken in den Hintergrund. Heilsgeschichtliche Zusammenhänge zum Beispiel. Auch die Heilsbedeutung des Kreuzestodes.“

Wie sieht das mit dem Kreuz aus?

Maike Sachs: „Dabei darf das Kreuz unter keinen Umständen verloren gehen. Denn wir bleiben Menschen, die Fehler machen und Grenzen haben. Niemand ist vollkommen. Die Erfahrung der Vergebung ist so befreiend. Wir finden auch nicht allein zurück zu Gott. Dazu brauchen wir das Kreuz. Es ist und bleibt die Mitte des Evangeliums.“

Clemens Hanßmann: “Ja, das sehe ich auch so. Ich glaube, das Kreuz ist nach wie vor etwas, das die Menschen bewegt. Das Kreuz ist nicht out. Viele Lobpreislieder haben das Kreuz nach wie vor zum Inhalt. Und auch in den Medien wird die Geschichte plötzlich und erstaunlich präsent: RTL strahlte vor Ostern zum wiederholten Male eine eigens produzierte Sendung zum Thema Passion und Kreuz aus.”

Maike Sachs: „In jedem Fall fasziniert diese Geschichte. Dass einer alles für mich gibt, berührt die Menschen. Und Helden gibt es allemal, in Geschichten, Filmen und Videospielen. Selbst im Sport feiern die Fans den einen, der das spielentscheidende Tor geschossen und die Mannschaft vor dem Abstieg bewahrt hat. Aber spielt der Gedanke auch im Hinblick auf Gott eine Rolle? Wissen die Menschen, dass sie verlieren, wenn nicht einer das Ruder für sie herumreißt?“

Wie lassen sich Menschen heute zu Jesus einladen?

Clemens Hanßmann: „Vorbilder sind und bleiben wichtig. Menschen, die ungezwungen, aber auch überzeugt ihren Glauben leben. Letzte Woche hat mir eine 14-Jährige von einer Freizeit erzählt, deren Mitarbeitende ihren Glauben so leben, dass man nicht das Gefühl hat, glauben zu müssen, sondern glauben zu wollen. Das hat sie beeindruckt. Persönliche Beziehungen sind wichtig. Darüber hinaus kommen Menschen auch ohne Ortsgemeinde oder Jugendarbeit immer öfter durch das Internet mit Jesus in Kontakt. Das haben wir nach wie vor noch wenig auf dem Schirm.“

Gott selbst hat in Jesus die Welt ein für allemal mit sich versöhnt.

Corinna Schubert

Maike Sachs: „In Kontakt kommen, Vorbilder haben, das sind erste Schritte. Doch dann gehört auch die Einladung zu einer persönlichen Beziehung mit Jesus unbedingt dazu. Menschen, die man fragt, wie sie zum Glauben gekommen sind, bestätigen das. Sie brauchten Momente und Rituale, um die Sache mit Jesus festzumachen, z. B. ein Gebet, einen Segen oder eine Abendmahlsfeier. Dass jemand die Einladung von Jesus annimmt, wird dadurch sichtbar.“

Ist es heute herausfordernder zu Jesus zu stehen als früher?

Clemens Hanßmann: “Das kann ich als junger Mensch schwer vergleichen. Wie siehst du das, Maike?”

Maike Sachs: „Christ zu sein, ist heute nicht mehr unbedingt cool. Das hat verschiedene Gründe. Die Kirche hat keinen guten Ruf, wenn sie überhaupt eine Rolle spielt. Wer an Jesus glaubt, ist eher die Ausnahme, nicht mehr Teil einer Mehrheit. Der Vorteil dabei ist, dass man sich gut überlegen muss, was man an Jesus hat, seine Liebe und sein Leben für diese Zeit und darüber hinaus. Anders gesagt: Wie lautet die Frage, auf die Jesus für mich eine Antwort ist?“

Lässt sich das mit einem Bibelwort sagen? Welche Aussage von Jesus ist dir besonders wichtig?

Clemens Hanßmann: „Zurzeit ist es wohl: ‚Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch‘ (Johannes 20,21). Jesus sendet uns. Seine Schafe, die immer wieder auch weglaufen. Er sendet uns trotzdem. Hinein in diese Welt, die nichts Besseres hören kann als das Evangelium.“

Maike Sachs: „In unterschiedlichen Situationen begleiten mich verschiedene Worte von Jesus. Immer wieder dabei ist dann aber der Klassiker aus Matthäus 11,28-30: ‚Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Ich will euch Ruhe schenken. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last” (BasisBibel).

Herzlichen Dank für das Gespräch

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