„Können Sie mir denn bitte erklären, was das ‚dritte Drittel‘ ist?“ Mit dieser Frage kam vor Kurzem eine Frau auf einem Seminartag auf mich zu. „Drittes Drittel“ – das ist ein Versuch, vom Alter zu sprechen, ohne es gleich direkt zu benennen. Denn kaum jemand möchte gerade in dieser Lebensphase über sein Alter definiert und angesprochen werden. Rein mathematisch ist es klar: Die Zeit zwischen 30 und 60 ist genauso lang, wie die Zeit zwischen 60 und 90. Und um diese dreißig Jahre geht es, wenn wir vom „dritten Drittel“ sprechen. Viel wichtiger als der Begriff sind einige Fragen, die sich beim Übergang in diese Lebensphase ergeben:

  • Wie gestalten wir die uns anvertrauten Jahre?
  • Wie bereite ich mich ganz persönlich darauf vor?
  • Gibt es vielleicht sogar so etwas wie eine erneute Berufung, einen neuen Platz, eine neue Aufgabe?
  • Wie sind wir als Gesellschaft – aber auch als Kirche und Gemeinschaftsbewegung darauf vorbereitet, dass die Gruppe der Älteren wächst?
  • Wo entstehen möglicherweise noch einmal ganz neue Räume, die es gerade noch gar nicht gibt?

Diese Fragen bewegen mich in den letzten Jahren immer mehr, was ganz sicher – Überraschung! – mit meinem eigenen Alter zusammenhängt. Letztes Jahr bin ich sechzig geworden, und das erlebe ich schon als eine echte Veränderung. Deshalb habe ich mich auf die Suche gemacht: Menschen gefragt, im Internet recherchiert und einiges an Büchern und Artikeln gelesen. Dabei versuche ich zu lernen, zu beobachten – aber auch in der Stille noch einmal zu fragen: „Jesus, wie und was stellst du dir vor, für die Menschen meiner Generation? Was wünscht du dir für unsere Kirche und Gemeinden, für meine Nachbarschaft – für mich ganz persönlich?“

Aber wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir „vom Alter“ reden? Welche Bilder kommen uns ganz spontan in den Sinn? Und wie viel Einfluss haben sie, bei der Beschäftigung mit diesem Thema? Kopf-Kino Alter: Überlegen Sie doch einmal für einen Moment: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie das Stichwort „Alter“ lesen? Welche Bilder entstehen dazu in Ihrem Kopf?

Fünf Entdeckungen und einige Fragen

Entdeckung 1: Alter ist nicht gleich Alter – und misst sich nciht unbedingt an den absoluten Jahren!

Ein 80-jähriger, körperlich aktiver Mensch kann deutlich fitter sein als ein 65-jähriger „Stubenhocker“. Manche teilen das Alter in vier bis fünf unterschiedliche Phasen ein. Aber für eine erste Orientierung genügt es vom jungen, mittleren und hohen Alter zu sprechen. In jedem Fall ist es eine Zeit, für die wir einiges an „inneren“ und „äußeren“ Vorbereitungen zu tun haben:

„Äußere“ Vorbereitungen:

  • Was muss ich regeln? Wie wollen wir wohnen? Gibt es nach Plan A (alles soll bitte so bleiben, wie es ist) auch einen Plan B? Mit wem rede ich darüber?
  • Wie gestalte ich meinen Alltag, wenn der Beruf wegfällt?
  • Werde ich meine Arbeit vermissen oder nur die Kollegen?

„Innere“ Vorbereitungen:

  • Was kann ich jetzt Sinnvolles tun?
  • Wie erhalte ich mir eine positive Lebenseinstellung?
  • Welche Enttäuschungen und Verletzungen müssen noch bearbeitet – besser versöhnt und vergeben werden? (Und das kann eine richtig große Aufgabe sein!)

Entdeckung 2: Alter ist Neuland

Manche beschreiben das Alter als einen „neuen Kontinent“, den es zu entdecken gilt. Dieses Bild ist für mich persönlich irgendwie zu groß und damit auch zu abstrakt. Mit einem anderen Bild kann ich da deutlich mehr anfangen: „Nimm ein das Land, das deinen Namen trägt!“ Auch dazu einige Fragen. Ich habe sie alle sehr persönlich formuliert. Damit verbinde ich die Einladung: Überlegen Sie einmal, wie es wohl für Sie ist!

  • Wie sieht „mein Land“ aus, das ich noch mal entdecken möchte?
  • Was vertraut Gott mir jetzt an? (Er kennt meine Kräfte, Möglichkeiten – vermutlich besser als die Menschen um mich herum, oft auch besser als ich selbst!)
  • Wo will ich bewusst meine „Komfortzone“ verlassen und mutig etwas ausprobieren, auch wenn ich noch nicht weiß, ob und wie es funktioniert?

Entdeckung 3: „Wir sind viele“ – das fordert die Gesellschaft heraus

In der Presse wird aktuell immer wieder die sogenannte „Generation Babyboomer“ thematisiert. Keiner von uns konnte sich „seine Zeit“ aussuchen und darüber bestimmen, in welche Generation hinein er oder sie geboren wurde. Was ich aber bestimmen und gestalten kann, ist: Ich möchte auf jeden Fall Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein! Und das fängt vermutlich ziemlich klein an, in unserem direkten Umfeld, der Nachbarschaft, Familie, dem Freundeskreis und der Gemeinde. Und ich wünsche es mir sehr, dass meine Selbst- und Fremdwahrnehmung einigermaßen zusammenpassen. Sehen andere mich so, wie ich mich selbst erlebe? Was würden wir wohl hören, wenn wir das einmal fragen? Und es gilt noch einmal neu zu überlegen: Wo finde ich Platz – wo mache ich aber auch Platz? Ältere mit ihren Möglichkeiten und Kompetenzen sind aktuell an unterschiedlichen Punkten sehr gefragt. Es gibt sie, unsere Plätze. An anderer Stelle gilt es aber auch ganz bewusst Platz zu machen, damit andere die Verantwortung übernehmen.

Entdeckung 4: Neue Räume öffnen in Kirche und Gemeinschaft

Kaum jemand mit Anfang 60 würde heute noch in einen traditionellen Seniorenkreis zum Kaffeetrinken gehen. Was früher als Standardprogramm gut angenommen wurde, funktioniert heute nicht mehr. Das können wir beklagen, aber es ist so. Was bleibt, ist ganz sicher die Sehnsucht von Menschen, Sinn und Bedeutung für ihr eigenes Leben zu finden. Denn keiner kann auf Dauer allein sein. Einsamkeit ist nicht nur eine große, sondern eine riesige Not in unserer Gesellschaft.

  • Wie stellen wir uns als Kirche und Gemeinschaft auf diese Altersgruppe ein?
  • Was tun wir, um Gottes und der Menschen willen – und was lassen wir?
  • Als Apis nennen wir uns Bibelbeweger, Hoffnungsträger und Heimatgeber! Aber wie sind wir das – oder sind wir es vielleicht nur für uns?

Klingt das alles für Sie vielleicht zu fordernd? So viele Fragen, wer soll die beantworten? Niemand muss auf alles eine Antwort parat haben. Ganz sicher nicht. Aber wie wäre es, sich 1-2 Fragen zu nehmen, und die zu bewegen, allein oder mit anderen? Und immer wieder in der Stille mit Gott darüber reden. Deshalb die fünfte Entdeckung:

Es lohnt sich darüber nachzudenken, was man im Alter noch anpacken möchte.

Entdeckung 5: Mit welchem Gebet im Herzen?

Psalm 71 ist das Gebet eines alten Menschen. Wir wissen nicht genau, wer hier betet, aber sein Gebet berührt mich:

„Denn du bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott,
meine Hoffnung von meiner Jugend an.
Auf dich habe ich mich verlassen vom Mutterleib an;
du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen.
Dich rühme ich immerdar.
Ich bin für viele wie ein Zeichen;
aber du bist meine starke Zuversicht.
Lass meinen Mund deines Ruhmes
und deines Preises voll sein täglich.
Verwirf mich nicht in meinem Alter,
verlass mich nicht, wenn ich schwach werde.
(Vers 5-9)
Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt,
und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.
Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter,
wenn ich grau werde, bis ich deine Macht verkündige
Kindeskindern
und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.“
(Vers 17-18)

Das Wesentliche unseres Lebens können wir nur empfangen: Wir werden gezeugt, geboren, geliebt. Wieso sind wir in der Zwischenzeit oft so damit beschäftigt, Liebe und Anerkennung zu erarbeiten? Und wie finde wir zurück zu einem Glauben und Vertrauen, das vor allem eines tut, besser noch – geschehen lässt – „zu empfangen“? Der Beter von Psalm 71 nimmt uns dazu gewissermaßen an die Hand.

Welche seiner Worte möchte ich mir „leihen“ und selbst weiterbeten?

Mein Gott bist du – vom ersten Atemzug an. Dich lobe ich für soviel Gutes, das ich nicht zählen kann. Bleib bei mir, wenn ich schwach werde. Du hast mich von Jugend auf gelehrt – und noch jetzt erzähle ich von deinen Wundern. Verlass mich nicht, Gott, wenn der Alltag und die Haare grau werden, bis ich Kindern und Enkeln von dir und deiner Macht erzähle. Amen.

Zum Schluss

Vor vielen von uns liegen mit dem Übergang ins „dritte Drittel“ viele gute und geschenkte Jahre. Wie gestalten wir diese anvertraute Lebenszeit? Vielleicht so, wie Fulbert Steffensky es einmal beschreibt: „in Heiterkeit Fragment sein“. „Am Ende steht der Name Gottes, am Ende unserer Arbeit und am Ende unseres Lebens. Alt werden heißt erkennen, dass wir nicht genug sind. Wir sind nicht genug, die Welt zu retten und das Leben zu wärmen … Der Name Gottes ist unsere große Erleichterung … Vielleicht ist das die letzte große Kunst, die wir zu lernen haben, dass wir das Urteil über uns nicht selbst fällen … Wir sind vor den Augen der Güte, die wir sind.“

Christiane Rösel, Referentin für die Arbeit mit Erwachsenen
Schwerpunkt: „inspiriert älter werden“

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