Texterklärung

Psalm 104 gehört zweifellos zu den schönsten Liedern des Psalters. Er zählt innerhalb des Psalters zu der
Gattung der Hymnen (ein feierlicher Preis- und Lobgesang). Dabei könnte man aufgrund seiner Bildhaftigkeit meinen, dass es ein Hymnus auf die Schöpfung sei. Aber dem Psalter geht es einzig und allein um das Lob des Schöpfers. Das Lob Gottes steht am Anfang und am Ende des Psalms. In der Schönheit und Zweckmäßigkeit der Welt erkennt er den Schöpfer, der sich dadurch verherrlicht.

Der Rahmen: Das Lob Gottes (Verse 1+35b)

Der Psalm ist eingerahmt in den Aufruf des Beters: Lobe den Herrn, meine Seele. Zu Beginn und am Ende dieses Textes steht diese Selbstaufforderung zum Lob Gottes. Der Beter offenbart sich als ein Mensch, der weiß, dass er sich in der Gegenwart des lebendigen Gottes befindet Und die einzig angemessene Reaktion darauf ist der Lobpreis Gottes. Der Mensch lebt in dieser Welt richtig, wenn er sein Leben als Dank und Lob Gottes führt (Ps 104,33). Das „Halleluja“ am Ende, lädt schließlich die anderen ein, in das Lob mit einzustimmen.

Gott der höchste König (Verse 1-4)

Zu Beginn beschreibt der Beter Gott als König der Welt. Er erzählt von einem himmlischen Hofstaat, der alles Menschengemachte weit übertrifft. Der Königsmantel Gottes ist nicht aus Hermelinpelz oder Purpur, sondern aus reinem Licht. Gott baut sich einen Palast in den Himmeln, dort, wo kein Mensch etwas bauen könnte. Er ist mit den Wolken und dem Wind unterwegs, schneller als jedes Pferdegespann. Und was wir Menschen nicht einmal ansatzweise kontrollieren können – Feuer und Wind –, das sind seine Bediensteten, die er senden kann, wohin er möchte. Die ersten Verse machen ganz klar: Gott ist den Menschen in allen Dingen überlegen. Seine Größe und Macht übersteigen alles Menschliche.

Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt (Verse 5-28)

Der Psalmbeter erinnert uns an die Schöpfung der Welt (1Mo 1-2): Wie Gott durch sein mächtiges Wort die Erde schuf und aus den lebensbedrohlichen Chaosmächten (Flut der Tiefe; Ps 104,6) einen Lebensraum für Mensch und Tier hervorbrachte (Brunnen und Quellen; Ps 104,10). In lieblichen Bildern wird die Welt beschrieben. Und dabei ist klar: Gott ist der Schöpfer und der Ermöglicher des Lebens. In allen Bereichen wird Gottes ordnendes Eingreifen erkennbar: Es gibt einen festgelegten Lebensraum für Tiere. Und es gibt einen zeitlichen Rhythmus, den Tag und Nacht vorgeben (Ps 104,22-23). Die Beschreibung der Welt mündet in das Staunen und den Lobpreis (Ps 104,24). Wie ein Guts-herr, der seine Tiere versorgt, wird Gott dargestellt (Ps 104,27-28). Alles, was lebt, ob im Himmel, im Wasser, auf der Erde oder in den Bergen lebt von seiner Hand und seiner Güte.

Der Mensch als Geschöpf unter vielen (Verse 14,15+23)

Besonders interessant ist die Beschreibung des Menschen in Psalm 104. Der Mensch bekommt keine besondere Vormachtstellung über die Tierwelt, wie das in der Schöpfungsgeschichte (1Mo 1,28) oder in anderen Texten der Bibel (z. B. Ps 8,6-7) betont wird. Hier ist der Mensch eingebunden in die Schöpfung. Er ist nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein Teil von ihr, der sich an die vorgegebenen Regeln halten muss, wie bspw., dass es nachts draußen gefährlich ist.

Der Mensch als Bedrohung der Schöpfung (Vers 35)

Obwohl der Mensch in die Schöpfung eingebunden ist, ist er gleichzeitig eine Bedrohung. Denn anders als die Tiere, die zur Ehre des Schöpfers singen (Ps 104,12) und brüllen (Ps 104,21), kann der Mensch sich dem Lobpreis Gottes verweigern. Er kann die geschaffene Ordnung Gottes missachten und die Natur zur eigenen Bereicherung ausbeuten. So ist der letzte Satz zu verstehen. Es geht nicht darum, dass Menschen gehasst werden, sondern der Lobpreis der Schöpfung ist durch die Menschen bedroht, die dem Schöpfer nicht die Ehre geben. Durch sie wird die Herrlichkeit der Schöpfung verdunkelt und somit der Lobpreis des Schöpfers geschmälert, der in der guten Ordnung erkennbar ist. Wir Menschen sind zur Gegenkraft der weisheitlich geordneten Natur geworden.

Fragen zum Gespräch
  • Würde ich meinem Leben den Untertitel „Dank und Lob Gottes“ geben? Was wäre dazu nötig?
  • Ist meine Einstellung zur Schöpfung eher von dem Gedanken bestimmt, über die Schöpfung zu herrschen oder ein Teil der Schöpfung zu sein?
  • Gibt es Bereiche meines Lebens, in denen die Ordnung des Schöpfers durch mich bedroht wird
  • Vertraue ich darauf, dass trotz allem, was wir heute erleben, Gott der Erhalter der Schöpfung ist, der seine Lebewesen versorgt?

Martin Grauer, Pfarrer zur Dienstaushilfe im EJW, Stuttgart

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