Texterklärung

Das Schlusskapitel des Briefes beginnt mit einem Vermächtnis des Paulus an seinen jüngeren Mitarbeiter
Timotheus (V. 1-8). Im Mittelpunkt steht die eindringliche Ermahnung, er solle das ihm anvertraute Amt eines Evangelisten mit allem Eifer ausfüllen. Das Wort Gottes, die gesunde Lehre, gilt es dabei unbeirrt festzuhalten angesichts der Tendenz in den Gemeinden, sich eben davon abzuwenden und sich den „Mythen“, letztlich erfundenen Geschichten über Gott und die Welt, zuzuwenden. Das Neue Testament verwahrt sich gegen Versuche, es „entmythologisieren“ zu wollen, um an seinen wahren Gehalt zu kommen. Die Wahrheit liegt nicht hinter, sondern gerade in den Berichten über Gottes Heilstatsachen. Der zweite Teil des Kapitels (V. 9-22) beinhaltet persönliche Mitteilungen, Grüße und Segenswünsche. Der vor Gericht gestellte Paulus sehnt den Besuch seines geistlichen Sohnes herbei.

Es geht ums Ganze

Der Psychiater Irvin D. Yalom beschreibt die Angst vor dem Tod, der Freiheit, der Isolation und der Sinnlosigkeit als Grundkonstante des Lebens, die jeden Menschen unter Stress setzt. Gegen Ende des Lebens drängen die Tatsache von dessen Endlichkeit, zunehmende Einsamkeit und die Frage, welchen Sinn mein Leben hatte, mit voller Wucht heran. So mag es auch dem Apostel angesichts des möglichen nahen Endes im Rachen eines Löwen ergangen sein. Als gläubiger Mensch gibt er andere Antworten als ein humanistisch geprägter Arzt.

Hoffnung angesichts des Todes

Paulus ist voller Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu und den Beginn seiner Königsherrschaft (V. 1). Sein Tod ist ein „Aufbrechen“ ihm entgegen. Sein Blut, das möglicherweise bald vergossen wird, ein „Trankopfer“ voller Liebe und Hingabe (V. 6). Er ist gewiss, der Herr werde ihn hinüberretten in sein himmlisches Reich. Wertvoll ist unser Leben nicht deshalb, weil es vergänglich ist (so Yalom), sondern weil es eine Vorbereitung ist auf die Begegnung mit dem, der es gemacht hat und vollenden will.

Verantwortete Freiheit

Unter welchem Stress stehen schon junge Menschen, das Allerbeste aus ihrem Leben herausholen zu müssen. Die Wahlmöglichkeiten sind dabei (scheinbar) unbegrenzt. Doch nicht vor sich selbst allein muss der Mensch sein Leben verantworten. Auch nicht in den Augen der Mitmenschen müssen wir um jeden Preis gut dastehen. Die von Gott gewährte Freiheit muss auch vor ihm verantwortet werden. Christus erscheint zum Gericht. Nicht der römische Staat spricht das letzte Urteil über Paulus, sondern der Schöpfer. Auch wenn es so aussieht, dass Christen hier eher zu den Verlierern gehören, die Belohnung für ihre Mühen ist ihnen sicher (V. 8). Dabei kommt es weniger auf die Summe unserer guten Taten an, als auf die Liebe zu unserem Erlöser.

Allein, aber nicht einsam

In den Schlussversen des Briefes menschelt es wunderbar. Neben der Enttäuschung über Demas und anderen, die Paulus im Stich gelassen haben, steht die Sehnsucht nach neuer Gemeinschaft mit Markus und Timotheus. Jeder Mensch ist in der Tiefe mit sich selbst allein. Auch ein Apostel lebt nicht nur vom Gebet. Paulus steht zu seinem Bedürfnis nach Gemeinschaft, einem warmen Mantel und erbaulicher Lektüre. Grüße stärken die Bande zwischen den Geschwistern. Das tiefste Heilmittel gegen unsere existenzielle Isolation bleibt jedoch der Beistand Gottes, der uns so nahe sein kann wie niemand sonst (V. 17).

Sinn durch einen erfüllten Auftrag

Den Auftrag erfüllen, den Kampf kämpfen, den Lauf über die Ziellinie bringen, das macht Sinn! Paulus schaut nicht ohne Befriedigung auf ein diensterfülltes Leben zurück. Dies auch einmal tun zu können, wünscht er seinem jungen Mitstreiter. Ihm will er die Stafette übergeben, das Wort weiter in die Welt zu tragen. Nüchtern Leiden im Dienst an der Wahrheit, die oft eher ungelegen als gelegen kommt. Wie attraktiv ist das denn? Wie viele christliche Selbstoptimierungsbücher ähneln vielleicht doch eher den Botschaften, die „die Ohren kitzeln“ als echter Lehre, die korrigierend ins Leben eingreift? Sinnstiftend ist und bleibt ein Leben in nicht hinter, sondern gerade in den Berichten der Wahrheit, die uns hält und zugleich befreit.

Fragen zum Gespräch
  • Tod, Freiheit (Verantwortung), Isolation, Sinnlosigkeit. Was davon setzt mich am meisten unter Stress? Wir machen ein Ranking und kommen ins Gespräch.
  • Wie gehen Menschen mit diesem existentiellen Stress um? Welche Hilfen bietet der Glaube?
  • Nicht jeder ist zum Evangelisten berufen. Welche Gaben und Aufgaben sehen wir in unserer Gruppe?

Karsten Hirt, Theologe und therapeutischer Seelsorger

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