Fasten heute und damals
Von wegen in Sack und Asche gehen! Wer heute in Zeitschriften und Werbeanzeigen dem Thema Fasten begegnet, der sieht strahlende Gesichter, sportliche Menschen, rank und schlank, wie man sie nach Ende der Schlemmerei über die Feiertage nur selten sieht. Entschlackungskur, um überflüssige Pfunde loszuwerden. Zur alten Fitness finden, wenn die Tage wieder länger werden und die Sonne wärmer scheint. Ausgewogen Fasten nach dem Motto: „Ich tu mir etwas Gutes.“ Das ist es, was uns in einer Welt des Überflusses bewegt.
Wer verzichten wollte, musste also gewichtige Gründe haben. Deshalb ist Fasten nicht mit den Sonnen-, sondern zunächst mit den Schattenseiten des Lebens verbunden.
Maike Sachs
Ganz anders ist es mit dem Fasten in biblischen Zeiten. Es war eher eine karge Zeit. Reichtum bedeutete allein schon, ein Auskommen zu haben, satt zu werden und mit anderen teilen zu können. Meistens ging das tägliche Brot direkt von der Hand in den Mund, d. h. was erwirtschaftet wurde, war auch nötig. Was auf den Tisch kam, musste reichen. Wer verzichten wollte, musste also gewichtige Gründe haben. Deshalb ist Fasten nicht mit den Sonnen-, sondern zunächst mit den Schattenseiten des Lebens verbunden.
Von der Trauer über sich selbst bis zur Gottesbegegnung
Das gebräuchlichste Wort, das unsere Bibelübersetzungen im Alten Testament mit Fasten wiedergeben, heißt in seiner Grundbedeutung „zusammenschnüren“. Vermutlich hat es seinen Ursprung in der Totenklage, also in einem Moment tiefer Trauer, wenn die Kehle zugeschnürt ist und das Essen sowieso nicht schmeckt. So trauert z. B. das Volk um seinen König Saul und Juda um den verlorenen Tempel (z. B. 1Sam 31,13; Sach 7,2-5). Ganz anschaulich erinnert der Begriff an das Gefühl, wenn man auf Essen verzichtet hat oder verzichten muss: Magen und Darm ziehen sich schmerzhaft zusammen.
Neben die Totenklage tritt das Fasten im Bewusstsein der eigenen Schuld – die persönliche, aber auch die des Volkes (Dan 9,3ff.; Ps 35,13f.). In diesem Fall wird einanderer Begriff verwendet, der wörtlich meint, die Seele zu demütigen. Tatsächlich ist das Eingeständnis der Schuld ebenfalls ein Anlass für die Trauer: die Trauer über das eigene Versagen, über das Leid und den Schaden, das es verursacht hat. Ganz anschaulich wird diese Trauer in der Geschichte, als David versucht, das Kind aus dem Seitensprung mit Bathseba vor dem sicheren Tod zu retten. Er selbst hat gegen Gottes Gebot verstoßen. Dass das Kind deshalb nicht leben darf, ist ihm unerträglich. Um seiner Bitte um Vergebung Gewicht zu verleihen, fastet er (2Sam 12,16; vgl. 1Kön 21,27; Esr 8,21-23).
Fasten aus Trauer über Sünde und Schuld wird so Teil des großen Versöhnungstages. Das Volk bereitet sich vor durch eine Zeit des Fastens (3Mo 16,29.31). Brandopfer und Sündenbock nehmen dem die Schuld, der sich unter sie gebeugt hat. Der Verzicht aufs Essen kann von entsprechend grober Kleidung und dem Verzicht auf die Hygiene begleitet werden. Man geht „in Sack und Asche“ (Hi 2,12f.; Jon 3,6ff.). Die Trauer der Seele wird nach außen sichtbar. Allerdings lauert in der Äußerlichkeit die Gefahr, dass das Äußere Zeichen sich mit der Zeit verselbstständigt. Es wird zur leeren Hülle, weil es nicht mehr mit Inhalt gefüllt wird (Jes 58,3ff.; Mt 6,16-18).
Und schließlich begleitet der Verzicht auf Essen und – in seltenen Fällen – von Trinken eine Gottesbegegnung. Im Bewusstsein der eigenen Niedrigkeit fastet Mose 40 Tage, solange er auf dem Berg Gottes ist und die Gebote empfängt. Er macht sich ganz frei, um zu sehen und zu hören. Ganz ähnlich der Prophet Elia, der erst vom Engel gestärkt wird, der essen darf, ehe er sich auf den langen Weg durch die Wüste zum Berg Horeb macht (2Mo 34,28; 1Kön 19,8).
Befreit vom Fasten, doch frei zum Fasten
Auch das Neue Testament kennt das Fasten. Das Wort, das die griechische Grundsprache dafür verwendet, bedeutet: „nüchtern sein“ und betont damit einen weiteren Aspekt. Nicht die Reue und Demut stehen im Mittelpunkt, sondern das Loslassen. Das Leben wird von Ablenkung, aber auch Abhängigkeiten gelöst. Der Blick wird frei, die Gedanken klar, jetzt kann sich der Fokus ganz auf Gott richten. Allerdings ist Fasten kein Gebot mehr. Sowohl im Johannesevangelium als auch in der Briefliteratur des Neuen Testamentes wird es nicht mehr erwähnt. Zur Nüchternheit wird aufgerufen (1Thes 5,6; 1Petr 4,8), aber nicht zum Verzicht auf Essen und Trinken. Auch aus der frühen Kirchengeschichte ist nicht bekannt, dass in den ersten Gemeinden von Jesusnachfolgern gefastet wurde. Erst mit den Wüstenvätern, einer frühen Mönchsbewegung, wird es regelmäßig und verpflichtend Teil eines bestimmten, christlichen Lebensstils. Die Männer suchen in der Wüste Einsamkeit und führen ein karges Leben, um Gott zu finden.
Ein Gespräch, das uns in Mk 2,18ff. überliefert wird, erklärt, warum das Fasten im Neuen Bund an Gewicht verloren hat. Jesus wird gefragt, warum seine Jünger nicht fasten, während es Johannes der Täufer seine Schüler gelehrt hat. Jesus weist darauf hin, dass mit ihm eine neue Zeit begonnen hat. Das Reich Gottes ist in Jesus da. Die Gemeinschaft mit Gott, die Vergebung der Schuld, die Trauer über Wunden und Verletzungen und vieles andere mehr werden aufgehoben in der Begegnung mit ihm.
Und doch darf gefastet werden. Zusammengefasst kann man sagen: Jesus lehrt eine Freiheit vom Fasten und eine Freiheit zum Fasten. Jesus selbst kennt Tage, in denen er aus guten Gründen, aber freiwillig auf Nahrung oder auf Schlaf verzichtet. Schaut man sich die Stellen in den synoptischen Evangelien an, und ergänzt die Berichte der Apostelgeschichte, in denen vom Fasten die Rede ist, dann lassen sich folgende Anlässe unterscheiden. Jesus fastet, um für die Versuchung des Teufels gerüstet zu sein. Fasten stärkt den Willen und die Widerstandskraft (Mt 4,1+2).
Vor schwerwiegenden Entscheidungen verzichtet Jesus auf Schlaf (Lk 6,12) und die Gemeinde wartet im Fasten auf Gottes Wegweisung (Apg 13,2f.; 14,23). Fasten macht bereit, Gottes Stimme zu hören, weil es die Gedanken ganz auf ihn ausrichtet.
Besondere Aufgaben erfordern neben dem Gebet das Fasten. Der Verzicht auf Ablenkung macht das Bitten eindringlich und konzentriert, reinigt von falschen Motiven, sodass Gott erhören und handeln kann (Mk 9,29).
Fasten, eine lohnende geistliche Übung
Wir leben im Überfluss. Er schadet uns und hält uns gefangen. Wir leben nicht nur im Überfluss an Lebensmitteln, wir sprechen von Reizüberflutung und Dauerberieselung, von Berufen, bei denen Arbeit und Freizeit nicht mehr klar zu trennen sind. Auch unsere Seele ist überfüttert mit Eindrücken. Entschlackung ist dringend nötig. So wie durch Nahrungsverzicht der Stoffwechsel des Körpers gereinigt und entlastet wird, so entlastet eine Zeit des Fastens Herz, Gemüt und Gedanken. Konzentration statt Vielfalt, weniger zu haben, wird zu einer kostbaren Erfahrung. Weniger Essen, weniger Fernsehen und Internet, weniger Telefonate und WhatsApp-Nachrichten, weniger Termine. Weniger zu haben, bedeutet, an weniger zu denken, für weniger zu sorgen. Last und Unruhe werden leichter.
Wer verzichtet, merkt erst, wie groß die Bindungen in Wahrheit schon sind. Denn zu fasten, bedeutet mit Gewohnheiten zu brechen. Aus Gewohnheiten aber können leicht Abhängigkeiten werden. Brauche ich das wirklich? Muss ich das tatsächlich übernehmen? Kann man auch leben, ohne den Film gesehen zu haben? Das Leben geht doch weiter, auch wenn ich für eine gewisse Zeit auf etwas Liebgewordenes verzichte. Ja, es braucht Kraft. Verzicht geht nicht ohne Überwindung, sonst ist es kein Verzicht. Allerdings: „Wer nicht mehr verzichten kann, dessen Wille verkümmert“ (Karl-Heinz Michel).
Verzicht bedeutet Freiheit, es bedeutet aber auch, dass da ein Raum frei wird.
Maike Sachs
Durch Fasten erfahre ich, wer bei mir wirklich „Herr im Haus“ ist. Verzicht bedeutet Freiheit, es bedeutet aber auch, dass da ein Raum frei wird. Es bleibt z. B. mehr Zeit. Und dieser Raum wird beim Fasten gefüllt mit einer vertieften Gemeinschaft mit Gott. Das ist wichtig. Denn es fällt ja weg, was bisher abgelenkt hat. Jetzt ist Platz. Zum Beispiel beim Verzicht von Mahlzeiten bleibt die Zeit fürs Planen, Einkaufen, Kochen, Essen und Abwaschen. Das ist eine ganze Menge. Und wenn der Magen knurrt, mitten im Gebet? Dann ist es eine gute Erinnerung daran, dass ich mit Wissen und Willen Gottes Nähe suche und es mir auch etwas kosten lasse. Ole Hallesby schreibt in seinem Buch „Vom Beten“: Das Fasten kehrt die nach außen gerichtete Seele für eine Zeit nach innen, um dort ungehindert Gott im Gebet zu begegnen.
Das Fasten kehrt die nach außen gerichtete Seele für eine Zeit nach innen, um dort ungehindert Gott im Gebet zu begegnen.
Ole Hallesby
Jesajas Kritik an einem Fasten, das nur leere Form ist (Jes 58,6ff.), eröffnet eine weitere Dimension. Der Prophet beschreibt ein Fasten, das dem Mitmenschen dient. Fasten bedeutet dann der Verzicht auf Recht und Macht. Jesaja trifft damit den Kern des Fastens. Denn Fasten bedeutet im Tiefsten, sich selbst loszulassen. Ich verzichte auf Nahrung, von der ich lebe. Ich schränke ein, von dem ich glaube, dass ich es unbedingt brauche. Ich löse mich aus dem Kreislauf, in dem ich um mich selbst kreise. So werde ich frei von mir selbst und frei von der Angst, zu kurz zu kommen. Eine Erfahrung, die wahrhaft heilsam ist.
Maike Sachs, Pfarrerin
Studienleiterin im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen sowie Mitglied der Württembergischen Landessynode.