Als Kind und Jugendlicher hatte ich viel von Gott und Jesus gehört. Es gefiel mir, wie er die Blinden sehend und die Lahmen gehend machte, den Sündern ihre Schuld vergab, den religiösen Eiferern unbequeme Dinge sagte, die Aussätzigen heilte und Geschichten über Gottes sehnsüchtige Liebe erzählte. Ich mochte dieses Christentum. Aber alles war mindestens zweitausend Jahre her. Viel zu weit weg, um es bedeutsam zu finden. Zweitausend Jahre sind zu viel. Da verschwindet alles im Grau der Geschichte. Was hat dieses ganze Gott-und-Jesus-Zeug mit meinem Leben zu tun? Ich hörte, wie Gott vor langer Zeit gehandelt hatte. Aber ich lebe heute! Ich hörte, was Jesus vor zweitausend Jahren getan hatte, aber niemand sagte mir, was er heute in meiner Zeit und in meiner Welt tut. Ich hörte, wer er damals war, aber nicht, wer er heute ist für Menschen wie mich, die fragend in einer harten Kirchenbank sitzen und sich nach Worten des Lebens sehnen.

Die Überraschung meines Lebens

Dann traf ich Johanna, eine Krankenschwester. Sie erzählte mir von ihrem Glauben und lieh mir ein Buch: Das Kreuz und die Messerhelden von David Wilkerson. Ich dachte „Super, ein Buch aus dem Westen!“ (Ich bin in der DDR aufgewachsen.) Ich las es in einem Ritt. Es berichtet über die Anfänge einer Drogenarbeit. Unzählige drogenabhängige Jugendliche rund um den Globus kamen durch diese Arbeit von Heroin, Hass und Gewalt los. Was ich da las, haute mich vom Hocker. Waaas? Ein Jesus der heute kriminellen Bandenmitgliedern begegnet und sie zu Boten von Liebe und Frieden macht? Ein Jesus, der in unseren Tagen heroinsüchtige Wracks mit dem Heiligen Geist erfüllt und sie von lebenszerstörenden Bindungen befreit? Wenn das stimmt, was ich da las, dann habe ich eigentlich überhaupt noch nicht verstanden, was der christliche Glaube ist. Ich begann, die Bibel zu lesen. Und ich besuchte Gottesdienste. In mein Herz wurde eine Sehnsucht gepflanzt. Ich wollte Vertrauen zwischen Menschen keine Theorie über einen guten Hirten. Ich wollte den guten Hirten. Ich wollte kein Dogma über den Sohn Gottes, ich wollten den Sohn Gottes. Ich wollte den Jesus, der heute den Lebensdurst stillt, den so viele Menschen in sich spüren. Ich wollte den Jesus, dessen Wirklichkeit und Liebe heute erfahrbar ist. Ich wollte Jesus nicht nur als religiöse Theorie, sondern als Begegnung. Ich wollte den Jesus, der mich göttliches Leben spüren lässt und der mir zuspricht: „Ich lebe und du sollst auch leben.“

Die Initialzündung

Dann war dieser Jugendgottesdienst. Der Jugendpfarrer Klaus Vogt sprach über das Thema „Jesus lebt“. Er erzählte, wie der lebendige Jesus das Leben von jungen Leuten positiv verändert. Ich saß da mit offenem Mund. Es war, als ob dieser Pfarrer nur für mich redete. Und ich erkannte, dass ich das Wichtigste am christlichen Glauben nicht im Blick hatte: Ostern! Das Grab ist leer! Jesus ist auferstanden! Er lebt und wirkt! Im Anschluss ging ich zum Jugendpfarrer und bat um ein Gespräch. Wie bekomme ich das in mein Leben? Wie kommt Jesus zu mir? Wir knieten uns gemeinsam nieder. Er sprach mit mir ein Hingabegebet an Jesus. Ich betete von ganzem Herzen mit. Dann legte er mir die Hände auf, damit ich den Heiligen Geist empfange. An dem Abend ging ich sehr froh und leicht wie eine Feder zu Bett. Am nächsten Vormittag kam ein Jubel in meine Seele, und ich wusste in meinem Herzen: Jesus lebt, ich gehöre zu ihm. Das Evangelium ist wahr. Du kannst ihm vertrauen. Jesus war kein bloßer Titelheld mehr aus einer sehr alten Vergangenheit, sondern der Lebendige, der mich mit einer unglaublichen Freude und Begeisterung erfüllte und meinem Leben eine neue Richtung gab.

Jesus war kein bloßer Titelheld mehr aus einer sehr alten Vergangenheit, sondern der Lebendige, der mich mit einer unglaublichen Freude und Begeisterung erfüllte und meinem Leben eine neue Richtung gab.

Alexander Garth
Was war mir da eigentlich passiert?

Ich habe eine Erfahrung mit dem lebendigen Gott gemacht. Okay, aber was heißt das? Was sind die Auswirkungen? Leonhard Goppelt, ein bedeutender Forscher auf dem Gebiet des Neuen Testaments, schreibt über das Kommen des Heiligen Geistes: „Der Geist war für die christliche Gemeinde von Anfang an nicht eine Theorie, sondern empirisches Widerfahrnis, das man zu deuten suchte.“ Also zuerst geht es beim Heiligen Geist nicht um eine theologische Theorie, die man glauben kann oder nicht, sondern es geht um eine lebensverändernde Erfahrung.

Die christliche Grunderfahrung

Der Heilige Geist führt in eine dreifache Grunderfahrung des Christseins. Grunderfahrung nenne ich es, weil es hier nicht einfach um ein Erlebnis für besonders fromme oder emotionale Menschen geht, sondern um eine Erfahrung, die zum Glauben dazugehört und die uns durchs Leben begleitet. Es ist die dreifache Erfahrung:

  • Gott nimmt mich an um Jesu willen.
  • Er vergibt mir meine Schuld.
  • Er erfüllt mich mit seinem Geist.

Viele Menschen machen die Erfahrung der Liebe Gottes, der Vergebung von Schuld und dem beglückenden Erfülltsein von unglaublicher Freude und Gewissheit des Glaubens als Bekehrungserlebnis. Andere wachsen langsam in ein Leben mit Jesus hinein. Sie haben kein konkretes Bekehrungserlebnis. Es gibt kein Erinnerungsdatum, an dem das Heil Christi ihr Herz berührte. Aber die Früchte ihres Lebens machen deutlich, dass Gottes Geist ihr Leben bestimmt. Sie lieben Jesus und die Menschen, sie erzählen begeistert von ihrem Glauben, sie engagieren sich für Gott und Gemeinde. Ein sicheres Kennzeichen der Erfüllung mit dem Heiligen Geist ist ein waches Interesse an geistlichen Dingen. Sie lesen die Bibel und christliche Bücher, kennen die Dimension des Gebetes, hören gern gute Predigten und christliche Podcasts und lieben christliche Musik, Choräle oder modernen Lobpreis, oft auch beides.

Ein lebenslanger Prozess

Die Erfahrung des Heiligen Geistes ist kein einmaliges Ereignis. In der Apostelgeschichte lesen wir, dass die Jünger nicht nur am Pfingsttag mit dem Geist erfüllt wurden, sondern immer wieder. Das Leben aus Gottes Gegenwart ist ein lebenslanger Prozess, in dem es manche Niederlagen gibt, aber auch viele Siege, manche Verirrungen, aber auch viele lebenserneuernde Erkenntnisse und segensreiche Führungen. Das Geheimnis eines Lebens aus dem Geist besteht darin, das Feuer am Brennen zu halten. Das geschieht durch Gehorsam gegenüber Gottes Wort, durch geistliche Gemeinschaft mit anderen Christen, durch das Heilige Abendmahl, durch Leben in einer Beziehung mit dem Schöpfer. Der tiefste Ausdruck dafür ist das persönliche Gebet. Der Dichter Matthias Claudius schrieb in einem Brief an seinen studierenden Sohn eine hilfreiche Anweisung: „Denke oft an heilige Dinge!“ Eigentlich ist christliches Leben wie Fahrradfahren. Wer aufhört zu treten, fällt um. Wer aufhört christlich zu leben, dem bedeutet der Glaube irgendwann nichts mehr. Man hört auf, eine geistliche Existenz zu führen.

Eine Ausrüstung zum Dienst als Mitarbeiter Gottes in dieser Welt

Der Heilige Geist ist kein Sahneklecks auf der Egotorte unseres Lebens. Gottes Geist ist uns nicht gegeben, um geistliche Wonneschauer zu bekommen. Der Heilige Geist ist die Ausrüstung Gottes für Menschen, die Jesus dienen wollen. Darum ist christliche Geisterfahrung mit einer Hingabe unseres Lebens an Jesus und seinen Auftrag verknüpft. Wer nur das Erleben Gottes sucht, ohne sein Leben hineinzugeben in den Dienst für Gott in dieser Welt, wird eine Enttäuschung erleben.

Der Heilige Geist und der weltweite Aufbruch des Glaubens

Während man in Deutschland auf das Erstarken des Islams starrt, vollzieht sich in der Christenheit eine dramatische Revolution. Für viele unbemerkt entsteht in vielen Teilen der Welt, zumeist auf der Südhalbkugel und in Asien, ein dynamisch wachsendes Christentum. Es ist ursprünglicher, missionarischer, mystischer, enthusiastischer als dessen europäische Variante. Das Hauptkennzeichen dieser globalen Bewegung: Die Wiederentdeckung der Dynamik des Heiligen Geistes. Weltweit boomt dieses Christentum in einem unvorstellbaren Ausmaß. Christliche Gemeinden werden in großer Zahl gegründet. Ganze Regionen verändern sich, weil die Menschen sich zu Christus bekehren. Die Religionssoziologie fasst diese neue boomende Variante des Christentums unter dem Label „spirit empowered christianity“ (geistbevoll mächtigtes Christentum) zusammen. The World Christian Ecyclopedia (edition 2020), welches die globale Entwicklung des Christentums dokumentiert, konstatiert, dass über 644 Millionen Christen zu dieser Bewegung gehören. Sie wächst jährlich um etwa 20 Millionen. Bereits 2040 dürfte deren Zahl, so die Experten, bei über 1 Milliarde liegen, wobei das wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt ist, denn viele dieser neuen Gemeinden wachsen im Untergrund und bleiben bewusst unter dem Radar von Regierungsstellen, um Diskriminierung und Verfolgung zu entgehen. Diese Entwicklung ist für viele Christen in Europa eine Ermutigung. Der Heilige Geist wirkt in dieser Welt. Pfingsten war gestern, Pfingsten ist heute und Pfingsten ist morgen. Jesus baut seine Gemeinde, wie er es versprochen hat, auch in Europa, auch bei uns. Man darf gespannt bleiben und glaubensvoll in die Zukunft schauen.

Alexander Garth, evangelischer Pfarrer, Beauftragter für Theologie, Evangelisation und Gemeindeentwicklung bei der Evangelischen Allianz Deutschland, Gemeindegründer (Junge Kirche Berlin), Publizist, Autor, Dozent, verheiratet mit Damaris. www.alexandergarth.de

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