Impuls zur Jahreslosung

Natürlich brauchen wir das ganze Bild. Die Jahreslosung für das Jahr 2022 sollte im Ganzen angeschaut werden. Zugegeben, der ganze Vers macht das Bild sehr viel komplexer. „Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Plötzlich ist es nicht mehr Jesus allein, der handelt. Nun kommt auch der Vater in den Blick, von dem alles ausgeht. Aber der Reihe nach!

Der Vater gibt

Warum sollten wir den Gedanken ausklammern, dass Jesus Menschen vom Vater im Himmel erhalten hat? „Was mir der Vater gibt“ – was ist daran schwierig? Sind wir nur deshalb Christen, weil es allein dem Willen des Vaters entspricht? Wo bleibt aber dann unser Wille, unsere ganz persönliche Freiheit?
Wir kennen solche Einwände. Es wird als unannehmbar betrachtet, dass jemand über uns verfügen könnte und sei es mit den besten Absichten. Doch genau darum geht es Jesus. Er will keinen anderen Eindruck erwecken. Auch im hohepriesterlichen Gebet bestätigt er das: „Ich bitte … für die, die du mir gegeben hast“ (Joh 17,9). Christen sind Menschen, die der Vater seinem Sohn anvertraut hat, für die er sorgt und betet, für die er leidet und stirbt. Darum gilt: Wer zum Glauben gekommen ist, wird keinen Grund haben, sich über einen „göttlichen Übergriff“ zu ärgern. Vielmehr wird klar: Diese Lebensübergabe ist der größte Segen meines Lebens. Der Vater im Himmel vertraut mein Leben dem Sohn an.

Der Sohn wartet

„Den werde ich nicht hinausstoßen“ – verwundert die starke Wortwahl Jesu? Ist denn das überhaupt eine Option, Menschen abzuweisen? Eigentlich haben wir doch ein ganz anderes Bild von Jesus: Heilend, helfend, lehrend und befreiend. Fast jeder kennt die Darstellung Jesu in Rio de Janeiro, seine weit ausgestreckten, offenen Hände. Und es stimmt: Jesus Christus ist der Sohn Gottes, der in allen Teilen Israels unterwegs gewesen ist, in Dörfern und Städten, in kleinen Weilern und entlegenen Orten, um Menschen auf die Versöhnung mit Gott hinzuweisen und zu einem Leben der Nachfolge einzuladen. Die Apostel hat er genau aus diesem Grund hinausgesandt in alle Welt.
Aber es stimmt auch, dass es den Moment geben wird, wo er die abweisen wird, die ihn abgelehnt haben. „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“ (Mt 25,41). Der doppelte Ausgang von Himmel und Hölle ist für Jesus real. Er wird niemanden zwingen, an ihn zu glauben und ihm zu folgen. Doch es besteht nicht der geringste Zweifel daran, was er sich für jeden Menschen wünscht. Dafür hat er wirklich alles gegeben, und 2000 Jahre Gnadenzeit sind ein klarer Hinweis für seine Geduld und Liebe.

Und der Mensch?

Immer wieder wird überlegt, welchen „Beitrag“ der Mensch haben kann, wenn es um den Glauben an Jesus Christus geht. Es wird darauf hingewiesen, dass „Gott in Christus war und die Welt mit ihm selber versöhnt hat“ (2Kor 5,19). Mit anderen Worten: Alle Menschen, ohne Ausnahme, sind durch das Blut Jesu Christi versöhnt.Keiner muss befürchten, ausgeschlossen zu sein. Aber gleichzeitig ergibt sich für den Apostel Paulus gerade wegen dieser Weltversöhnung durch Christus die dringende Aufgabe, an Christi statt Menschen zu bitten: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,20). Was allen gilt und für alle geschehen ist, bedarf der ganz persönlichen Annahme jedes Menschen. Erst dann wird es gültig. Erst dann wirkt Versöhnung Rettung!
In fast allen Ich-bin-Worten Jesu – und die Jahreslosung für 2022 steht ja in Verbindung mit Jesu Zuspruch „Ich bin das Brot des Lebens“ – begegnet uns neben einem wunderbaren Verheißungswort die Bitte um Annahme, um das Aufnehmen der Nachfolge Jesu. „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis“ (Joh 8,12). „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden“ (Joh 10,9). Und wenn Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14,6) – dann fehlt hier der direkte Impuls zur Umkehr. Aber dennoch ist Jesu Wort wohl die schönste und wichtigste Einladung, die ein Mensch erhalten kann.
Der Mensch soll kommen und von Herzen das Heil ergreifen, wozu er berufen ist und wofür Jesus wirklich alles getan hat. Und wer dies getan hat, wird nicht von seinem „Beitrag“ reden, sondern Gottes Barmherzigkeit herausstellen.

Gleichgültigkeit überwinden

Im Thema des Monats geht es um Gleichgültigkeit. Eine göttliche Eigenschaft ist letztere nicht. Wer das Leben Jesu betrachtet, findet das ganze Gegenteil: Ungetrübte Liebe und Verbundenheit zu seinem himmlischen Vater und dann diese große Sehnsucht, uns verlorenen Menschen die Gemeinschaft mit ihm zurückzugeben. Allein in seiner Nähe weicht Gleichgültigkeit. Herz und Seele empfangen Kraft und wir erhalten mehr und mehr Gelegenheit, Menschen mit der Barmherzigkeit Jesu zu begegnen.

Hermann J. Dreeßen
Studienleiter

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