Ich habe Bock auf Kirche!

Der christlichen Gemeinde geht es gar nicht so schlecht, wie alle immer sagen. Klar, es könnte besser sein. Und ja, jeder von uns erlebt – nicht zuletzt in den Corona-Jahren – herbe Enttäuschungen und Rückschläge. Doch die Gemeinde von Jesus lebt!

Faktencheck: Die Zahlen sprechen für sich

Der Kirche geht es gut! Sie lebt, wächst und freut sich über ihre wachsende Zahl an Kindern. Zumindest in weiten Teilen der Welt: Südamerika, Afrika und Asien zum Beispiel. Aber auch in Osteuropa und selbst in Deutschland wachsen Gemeinden: „Mehr als man denkt!“ ist das Fazit der kürzlich herausgegebenen Stuttgarter Gottesdienst- und Gemeindestudie. Dabei hat das renommierte LIMRIS-Institut festgestellt, dass es in der Metropolregion Stuttgart rund 1400 Gemeinden gibt. Und viele von ihnen haben einen stabilen oder gar wachsenden Gottesdienstbesuch. 5 % der Bevölkerung nehmen an einem Gottesdienst teil. Das heißt: Jeder 20. geht sonntags in die Kirche.

Das Evangelium kann auch heute noch kraftvoll und befreiend im Leben von

Menschen wirken. Jesus will dazu Gemeinschaften und Gemeinden gebrauchen.

Dirk Farr

Da ist was möglich! Das Evangelium kann auch heute noch kraftvoll und befreiend im Leben von Menschen wirken. Jesus will das! Und er will dazu Gemeinschaften und Gemeinden gebrauchen. Große und kleine, laute und leise, lange bestehende und neu entstehende. Ganz unterschiedliche. So unterschiedlich wie die Menschen sind, die er erreichen möchte.

Vor 15 Jahren bin ich in den Berliner Osten gezogen. In einen Stadtteil mit rund 18.000 Einwohnern. 0,25 % der Menschen gingen damals in einen Gottesdienst (ok, nicht ganz so fromm wie Stuttgart). Wir haben angefangen, eine Gemeinde zu gründen. Einige Straßen weiter hat eine Gruppe Mennoniten es ähnlich gemacht. Und einige Jahre später eine russische Gruppe. Heute gibt es in diesem Stadtteil 5 Gemeinden (seit letztem Jahr auch eine ukrainisch-orthodoxe) und es nehmen mehr als 1 % der Menschen an einem Gottesdienst teil. Ich glaube, dass Gott überall so etwas schenken möchte. Und ja, das passiert nicht von allein. Auf der Suche nach guten Wegen haben wir in den letzten Jahren ein paar Prinzipien entdeckt, die nicht nur in Berlin helfen.

Wie Gemeinde gelingen kann

Kratzt die Leute da, wo’s juckt
Gemeinde muss radikal von der Zielgruppe her gedacht werden. Wen möchten wir mit dem Evangelium erreichen? Für sie entwickeln, gestalten und beten wir zuerst (Jesus ist nicht gekommen wegen der Gesunden, sondern …). Bewegt von der Mission Gottes sind die Fragen schlicht: Zu wem sendet uns Gott? Wie ticken diese Leute? Was sind ihre Fragen? Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Sinn sind große Themen. Wie können Beziehungen gelingen und Versöhnung gelebt werden? Wie ist Veränderung möglich? Woher nehme ich die Kraft für meinen Alltag? Das sind Fragen, die sich die Menschen stellen. Finden sie darauf bei uns Antworten – und Hilfe?

Die Christologie (An wen glauben wir?) bestimmt die Missiologie (Wie kommunizieren wir das Evangelium?). Und die wiederum formt unsere Ekklesiologie (Was ist Kirche/Gemeinde/Gemeinschaft und wie gestalten wir sie?).

Dirk Farr

Probieren geht über Studieren
Nein, ich finde nicht, dass Studieren schlecht ist oder wir auf fundierte Theologie verzichten können. Doch für die Menschen am Anfang ihrer geistlichen Reise ist etwas anderes viel wichtiger: Viele möchten Dinge einfach ausprobieren. „Funktioniert das?“ So lassen sie sich von Heilern besprechen, probieren Globuli aus und auch sonst ganz viel. Dementsprechend wollen wir Gemeinde gestalten: Zum Anfassen und Ausprobieren. Gottesdienste, die ein sicherer Experimentier-Raum werden. Predigten, die praktische Schritte vorschlagen, die jeder gehen kann. Eine Christin, die ihrem Nachbarn anbietet, für ein Anliegen zu beten (und damit rechnet, dass Gott wirklich eingreift). Wo können die Menschen ausprobieren, ob „an diesem Jesus was dran ist“? Natürlich darf es dabei nicht stehen bleiben. Wir brauchen eine solide Theologie. Doch hier gilt: Die Christologie (An wen glauben wir?) bestimmt die Missiologie (Wie kommunizieren wir das Evangelium?). Und die wiederum formt unsere Ekklesiologie (Was ist Kirche/Gemeinde/Gemeinschaft und wie gestalten wir sie?).

Ehrenamt ist „King“ – sowohl Ehrenamtliche als auch Hauptamtliche
Das Evangelium wandert entlang von Beziehungen. Von einem zum nächsten. Besonders beeindruckend waren für unsere konfessionslosen Mitmenschen die Ehrenamtlichen. Nicht selten wurden sie gefragt: „Ach, du glaubst das wirklich? Aber du musst das doch gar nicht glauben.“ Menschen, die leidenschaftlich für Jesus brennen (und nicht dafür bezahlt werden), haben die größte Glaubwürdigkeit. Das macht neugierig und ist ansteckend. Wenig ist so kraftvoll, wie eine Gruppe von Christen, die ihren Glauben miteinander im Alltag lebt – und ihren Freunden und Kollegen erlaubt mit „reinzuspickeln“.

Sowohl missional als auch attraktional
Nur wo diese beiden Pole miteinander ausgelebt werden, kann Gemeinde ihre Kraft entfalten: Denn wir erwarten von Menschen nicht, dass sie zu „uns in die Kirche“ kommen, sondern wir gehen an die Orte, an denen sie sich aufhalten (missionale Geh-Struktur): Wo gibt es im Gemeinwesen bereits Angebote, die durch unsere Gemeinde einfach gedoppelt würden? Mutter-Kind-Gruppen, Hausaufgabenbetreuung, Seniorenangebote… Zusammenarbeit mit säkularen Initiatoren schafft Synergien, spart eigene Ressourcen und vernetzt uns mit den Menschen, zu denen wir gesandt sind. Wir arbeiten seit Jahren mit dem kommunalen Familienzentrum in unserem Stadtteil zusammen. Über die Jahre ist Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung gewachsen.

Menschen, die leidenschaftlich für Jesus brennen (und nicht dafür bezahlt werden), haben die größte Glaubwürdigkeit. Das macht neugierig und ist ansteckend. Wenig ist so kraftvoll, wie eine Gruppe von Christen, die ihren Glauben miteinander im Alltag lebt – und ihren Freunden und Kollegen erlaubt mit „reinzuspickeln“.

Dirk Farr

Für bestehende Gemeinden kann das bedeuten, dass sie überlegen, wie sie mit ihrer Immobilie die Menschen im Stadtteil segnen können (und gründen Hoffnungshäuser, Musikschulen…). Gleichzeitig entdecken wir, dass es Veranstaltungen als attraktiven Kristallisationspunkte braucht (Komm-Struktur). Welche Events fehlen in unserer Nachbarschaft (z. B. lebensnahe Gottesdienste), durch die Gott erfahrbar wird? Für uns als Gemeindegründung (ohne Immobilie) bedeutete es, dass wir mit den Gottesdiensten in öffentliche Räume gingen. Zuerst in einen Musikclub, später in das Kino in unserem Stadtteil.

Es braucht eine Balance zwischen attraktional und missional. Doch in einem Umfeld, in dem das Christentum nicht die Mehrheit ist, sind die Beziehungen entscheidend. Sie sind die Kommunikationsbrücken, über die das Evangelium wandert.

Sowohl Weite als auch Klarheit
Gemeinde wird kraftvoll, wenn sie eine Gemeinschaft formt, die sowohl offen gegenüber ihrem Umfeld und alternativen Weltbilder ist, als auch ihre Identität fest in Jesus Christus gründet und dies klar bekennt. Für uns bedeutete das: Das Zentrum der Gemeinschaft ist Jesus Christus als der Auferstandene. (1 Garth (2021), Untergehen oder umkehren, Seite 127). Das altchristliche Bekenntnis ICHTHYS ist der Kern: Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter. Das bekennen wir klar. Bei vielen anderen Fragen sind wir offener und lassen zu, dass sich die Form und Überzeugung aus dem Zusammenspiel von Umfeld und biblischem Zeugnis entwickelt: Taufverständnis und Musikstil, Leitungsverständnis und ethische Fragen. Sie alle sind für uns zweitwichtigste Fragen. Sie sind wichtig, aber nicht (heils-)entscheidend.

Ist das nicht riskant und chaotisch? Irgendwie schon. Aber viel anders ist es den Jüngern in der Apostelgeschichte wohl auch nicht gegangen, als nach der Auferstehung der Heilige Geist wirkte. Wo das Evangelium sich neu ausbreitet, geht es selten geordnet zu. Aber immer dynamisch.

Dirk Farr

Die Zugehörigkeit wird stärker definiert über die Beziehung zu Jesus Christus. Dabei ist klar, dass Menschen unterschiedliche nah an ihm als Mittelpunkt dran sind. Und nah dran sein, ist gut! Entscheidend ist jedoch nicht nur die Distanz zur Mitte. Bewegt sich jemand auf das Zentrum zu? Kostbar! Dieser Ansatz ermöglicht eine Gemeindepraxis, bei der viele Fragen zweitrangig werden. Menschen können sich „an diese Sache mit Jesus“ rantasten, ohne gleich dem Gesamtpaket zustimmen zu müssen. Sie können ihre manchmal kleinen Schrittchen auf Jesus zugehen und sind bereits Teil der Gemeinschaft.

Aber ist das nicht riskant und chaotisch? Irgendwie schon. Aber viel anders ist es den Jüngern in der Apostelgeschichte wohl auch nicht gegangen, als nach der Auferstehung der Heilige Geist wirkte. Wo das Evangelium sich neu ausbreitet, geht es selten geordnet zu. Aber immer dynamisch.

An-betende Kirche
Eines muss ich bekennen: Ich war nie ein großer Beter. War einfach nicht mein Ding. Doch dann zogen wir eben nach Berlin. Fingen im Wohnzimmer einer Altbauwohnung an, Gemeinde zu gründen. In einem Stadtteil, in dem wir niemanden kannten. Bei allem Recherchieren, Planen und Kontakteknüpfen wurde schnell klar: Wenn Gott hier kein Wunder tut, dann wird das nichts. Und das lehrte uns beten. Vielleicht ein weiterer Vorteil von Gemeindegründung. Sie weiß einfach, dass nur Gottes Geist eingreifen und sie lebendig machen kann. Und wir durften das erleben. Rund um Gebet und Anbetung hat sich Gott Menschen offenbart und ihr Leben transformiert.

Diese veränderten Leben wurden dann wieder zum positiven Triggerpunkt für andere Menschen und sie
machten sich auf ihre eigene geistliche Entdeckungsreise. Seit dieser Zeit begleitet mich eine Bitte aus Kolosser 4,3: „Betet zugleich für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können.“ Auf dass der christliche Glaube bei uns seine besten Zeiten noch vor sich habe!

„Betet zugleich für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und

wir vom Geheimnis Christi reden können.“

Kolosser 4,3
Gemeindegründung konkret: M4

M4 ist ein in Trainings-Prozess für Gemeindegründungsteams in der Startphase (die ersten 2-3 Jahre). M4 ist kein Tool, sondern ein strukturierter Prozess. Er hilft den Gründungsteams von da, wo sie sind, dahin zu
kommen, wo Gott sie haben möchte. Motivation dafür ist die Sehnsucht, dass unzählige Menschen durch lebendige sich multiplizierende Gemeinden von Jesus Christus gefunden werden. Egal ob in Städten oder im ländlichen Raum: Es sollen Gemeinschaften und Gemeinden entstehen, die christuszentriert und bibelbasiert leben. M4 hat die Qualität und wird helfen, dass die geistlichen PS „auf die Straße kommen.“ Damit wir uns auch in Zukunft freuen können, an einer sich wunderbar entwickelnden Jesus-Bewegung in unserem Land!

Dirk Farr, Berlin, Pastor JKB Treptow, Leiter Bereich Gemeindegründung der Liebenzeller Mission

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