Bestandsaufnahme

Ganz ab und zu trifft man mal einen. Einen Menschen, bei dem man den Eindruck hat: Der oder die ist total mit sich im Reinen. Ob der Eindruck tatsächlich stimmt, ist dann nochmal etwas ganz anderes. In der Regel ist es jedoch bei uns restlichen Menschen so, dass fast jeder und jede irgendwelche Dinge an sich selbst nicht mag:

  • Eine Eigenschaft, die beruflich hindert.
  • Einen Wesenszug, der zu Konflikten mit anderen führt.
  • Eine Angst, die ausbremst.
  • Einen Charakterzug bei dem man sich selbst fremd ist usw.

Menschen fragen sich: Warum muss ich so schüchtern sein und kann nicht einfach offen und ohne Angst auf andere zugehen? Warum fahre ich immer gleich so aus der Haut und schreie? Warum habe ich solche Angst vor fremden Situationen? Warum tue ich Dinge, für die ich mich hinterher so schäme und mich vor mir selbst ekle? Viele haben die frustrierende Erfahrung gemacht, dass sie schon x-mal versucht haben, sich zu ändern. Und dann hat es doch wieder nicht funktioniert. Da fällt es richtig schwer, mit sich ins Reine zu kommen.

Fragestellung

Warum ist das so? Warum gibt es Dinge an mir, die mich sogar selbst stören und die doch so schwer zu verändern sind? Und wenn ich es schon nicht ändern kann: wie soll es dann gehen, damit „ins Reine“ zu kommen? Was bedeutet das überhaupt? Etwa, dass ich Dinge, die ich vielleicht sogar aus biblischen oder geistlichen Gründen gar nicht gut finde, einfach akzeptieren soll? Das kann wohl nicht sein, oder?

Das eine ist das, was ich tue und das andere ist das, wie ich bin. Freilich ist es so, dass das, was ich tue sehr oft stark beeinflusst ist, von dem, wie ich bin. Der Unterschied besteht darin, dass ich das, wie ich bin, oft eher unbewusst wahrnehme und gar nicht merke, wie es sich auf mein Tun auswirkt.

Cornelius Haefele
Sortierung

Um hier weiterzukommen, müssen wir zunächst zwei Dinge voneinander trennen. Das eine ist das, was ich tue und das andere ist das, wie ich bin. Freilich ist es so, dass das, was ich tue sehr oft stark beeinflusst ist, von dem, wie ich bin. Der Unterschied besteht darin, dass ich das, wie ich bin, oft eher unbewusst wahrnehme und gar nicht merke, wie es sich auf mein Tun auswirkt.

Fokussierung

Darum ist es zunächst einmal sehr wichtig, sich selbst in den Fokus zu nehmen und zu überlegen: Wie bin ich denn eigentlich? Die erste spannende Erkenntnis, die man bei diesem Blick auf sich gewinnen kann ist die: Das, wie ich bin, habe ich mir gar nicht ausgesucht. Oder lag jemand von Ihnen mit 18 morgens im Bett und beschloss: Ab heute will ich so und so sein, denn so finde ich es gut! Also ich nicht! Statt dessen fand ich mich irgendwann als Erwachsener vor und stellte fest: Da hab ich den Salat. Da gibt es Haefele-Anteile,
die sind ganz okay. Aber es gibt auch jede Menge Anteile, die – naja, sagen wir es mal vorsichtig – ganz schön Luft nach oben haben. Egal, wie ich das, wie ich bin, bewerte, ich hab es mir auf jeden Fall nicht ausgesucht. Stattdessen hat es viel mit meinem Werden zu tun. Wahrscheinlich fing es schon mit meinen
Genen an. Dann kam ich in einer Familie auf die Welt, die mich prägte. Ich war und bin in Beziehung mit Menschen und sie mit mir. Ich machte Erfahrungen, ich lernte und heute ist da die Erkenntnis: Nun bin ich, wie ich bin.

„Sein-Tun-Zusammenhang“

Mein „So-sein“ wirkt sich aus auf mein Tun. Machen wir es mal konkret: Da bin ich z. B. ein sehr schüchterner Mensch, habe Angst, vor anderen den Mund aufzumachen und im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Das prägt mein Handeln. Ich suche mir einen Beruf, bei dem ich möglichst allein vor mich hin arbeiten kann. Ich suche mir eine Lebensgefährtin oder einen Lebensgefährten, der vielleicht an dieser Stelle das genaue Gegenteil von mir ist, damit ich hier Ergänzung habe. Aber ich bin auch Christ und in einer Gemeinde, wo mir permanent gesagt wird: „Du musst auf Menschen zugehen und sie zu Jesus bekehren. Wenn du in deinem Leben nicht wenigstens einen Menschen zu Jesus geführt hast, dann …“ Und nun geht es mir schlecht. Zwar sehe ich auch bei den Extrovertierten nicht, dass sie reihenweise Bekehrungen auslösen, aber ich trau mich ja nicht mal, in der Gemeinde einen Pieps zu sagen. Und da soll ich wildfremde Menschen ansprechen? Ich würde es wirklich gerne können, aber ich kann es nicht. Ich empfinde einen Erwartungsdruck, den ich nicht erfüllen kann. Ich empfinde Angst, dass ich Gott nicht genüge. Ich empfinde Leiden an mir selbst, weil ich gerne anders wäre.

Mit sich ins Reine zu kommen, gelingt dann, wenn ich es zunächst schaffe, mein „Sein“ und mein „Handeln“ getrennt voneinander zu betrachten.

Cornelius Haefele
Lösungsansätze

Wir sehen also: mein Sein hat Auswirkungen auf mein Handeln. Wenn mein Handeln mir selbst oder anderen nicht gefällt oder im Widerspruch zum Erwarteten steht, dann sind die meisten Menschen nicht mehr im Reinen mit sich. Wie kommt man da raus? Wieder ist es gut, das „Sein“ vom „Handeln“ zu trennen.
Es ist nicht hilfreich, dem schüchternen Menschen vorzuwerfen: „Wie kannst du nur so schüchtern sein, bestimmt glaubst du einfach nur zu wenig oder verlässt dich zu wenig auf Gottes Kraft.“ Noch weniger hilfreich ist es, sein Handeln bzw. sein Nichthandeln zu verurteilen: „Du weißt doch, Glaube ohne die Werke ist tot, du musst dich schon über winden und auch was tun, sonst …“
Stattdessen wäre es gut, wenn der schüchterne Mensch seine Schüchternheit erkennt und bekennt. Dann kann ihm oder ihr geholfen werden. Denn, auch schüchterne Menschen können Werkzeuge erlernen, wie man trotz Schüchternheit auf andere Menschen zugehen und mit ihnen ins Gespräch kommen kann. Natürlich ist dann auch das Gebet ein gutes Werkzeug! Aber eben auch, dass wir überlegen: In welchen Situationen fiele es dir leichter, mit anderen zu sprechen? Oder wir üben mal zusammen so ein Gespräch.

Fazit

Mit sich ins Reine zu kommen, gelingt dann, wenn ich es zunächst schaffe, mein „Sein“ und mein „Handeln“ getrennt voneinander zu betrachten. Die Erfahrung lehrt, dass es ziemlich schwierig ist, die Persönlichkeit, also das „Sein“ grundsätzlich zu verändern. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass ich – obwohl ich bin, wie ich bin – auf der Handlungsebene trotzdem Neues lernen, ausprobieren und Fortschritte machen kann. Wenn das gelingt, können auch Menschen, die mit sich selbst Mühe haben, an manchen Stellen erstaunlich gut mit sich ins Reine kommen.

Cornelius Haefele
Personalvorstand bei den Apis

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