Texterklärung
Tausende von Menschen hatten sich versammelt, um Jesus zu hören. Sicherlich waren seine Schüler begeistert, dass ihr Rabbi so gut ankam. Auch Jesus hätte sich doch darüber freuen können. Doch er sieht schon jetzt voraus, dass andere Zeiten kommen werden: Zeiten, in denen ihn viele verlassen werden. Eine Zeit, in der er verhaftet und gekreuzigt werden wird und Zeiten, in denen viele seine Nachfolger hassen und verfolgen werden.
Menschenfurcht
Jesus warnt seine Jünger vor dem „Sauerteig der Pharisäer“ (V. 1). So wie ein wenig Sauerteig den gesamten Teig in kurzer Zeit durchsäuert, wirkten sich ihr Einfluss und ihre Lebensart auf das ganze Volk aus. Diese führende religiöse Gruppierung damals orientierte sich an dem, was gut ankam und die Menschen begeistert hat. Sie initiierten eindrucksvolle Gottesdienste und zelebrierten ihre Frömmigkeit in aller Öffentlichkeit. Ihre PR-Kampagnen waren erfolgreich und beeindruckten viele. Das eigene Ansehen erschien ihnen wichtiger als das, was Gott wichtig war. Gottes Gebote traten sie mit Füßen oder umgingen sie mit raffinierte Ausnahmevorschriften. Viele der Pharisäer bekleideten in der damaligen Gesellschaft einflussreiche Positionen. Nicht wenige hatten ihren Sitz im Synedrium, dem obersten politischen Organ der Juden. In seiner Jüngerrede sagt Jesus voraus, dass seine Nachfolger, die ihn als Messias und Welterlöser verkündigen und sich zu ihm bekennen, unter Druck gesetzt werden. Sie werden
sich vor der Führung der Synagogen und vor den religiösen und politischen Machthabern verantworten müssen (V. 11). Jesus ermutigt dazu, sich trotz allem treu zu ihm zu bekennen und ihn nicht zu verleugnen.
Die schwierige Rede von der Lästerung des Heiligen Geistes oder der Sünde gegen den Heiligen Geist, die
nicht vergeben werden kann (V. 10), gehört in diesen Zusammenhang. Die Lästerung des Heiligen Geistes
besteht nicht etwa darin, dass es Sünden im Leben eines Christen geben könnte, die nicht mehr vergeben werden könnten. Die Lästerung des Heiligen Geistes ist vielmehr so zu verstehen, dass ein Christ sich nicht mehr zu Jesus bekennt, sondern ihn verleugnet und sich dann auch nicht mehr als Christ bezeichnet, sondern vielleicht sogar zum Gegner von Christus und den Christen wird. Die Vergebung der Sünden wird dann unmöglich, weil der vom Glauben Abgefallene die Vergebung Gottes gar nicht mehr in Anspruch nehmen kann und will.
Gottesfurcht
Jesus ruft an dieser Stelle zur Gottesfurcht auf und macht deutlich, dass die Gottesfurcht hilft, die
Menschenfurcht und alle anderen Befürchtungen zu überwinden. Im Folgenden führt Jesus einen dreifachen Grund an, warum Gott zu fürchten ist.
- Gott ist zu fürchten, weil er alles, was im Verborgenen geschieht, ans Licht bringen wird (V. 3).
- Gott ist zu fürchten, weil er die Menschen richten wird (V. 5). Jede menschliche Macht und alle menschlichen Einflussmöglichkeiten gehen mit dem Tod zu Ende. Gottes Einflussbereich reicht aber weit über das irdische Leben hinaus.
- Gott ist schließlich auch zu fürchten, weil er alles in der Hand hat (V. 6f.). Selbst den kleinen Sperling lässt er leben, versorgt ihn und bestimmt den Zeitpunkt seines Todes.
Die Furcht vor Gott, der absolute Respekt vor ihm, soll uns aber nicht Angst vor Gott machen und uns auf Distanz zu dem zu fürchtenden Gott bringen, sondern ganz im Gegenteil in seine heilsame Nähe und in eine vollkommene Abhängigkeit von ihm führen. Weil Gott zu fürchten ist, werde ich alle Menschenangst verlieren und mich zu ihm bekennen.
Somit ergeben sich aus den drei Gründen zur Gottesfurcht zugleich drei Gründe gegen die Furcht.
- Weil Gott mir meine Schuld vergibt, werde ich jetzt alles vor ihm ans Licht bringen. Ich möchte ein authentisches Leben führen, Heimlichkeiten meiden und das, was ich glaube, denke und empfinde, auch in die Praxis meines alltäglichen Lebens umsetzen.
- Weil Gott mich durch das, was Jesus für mich getan hat, gerecht spricht und mir die Türen des Himmels offenstehen, werde ich alle Angst verlieren, von Menschen gerichtet oder verurteilt zu werden. Ich habe für solche Situationen sogar die Zusage, dass der Heilige Geist mir die richtigen Worte für mein Bekenntnis oder meine Verteidigung geben wird (V. 12).
- Weil Gott alles bis ins Kleinste in der Hand hat, werde ich alle Befürchtungen und Sorgen vor dem, was kommen oder passieren könnte, aus der Hand geben und ihm vertrauen.
Fürchtet euch nicht!
In der totalen Abhängigkeit von Gott und dem Wissen darum, dass er alles in der Hand hat und eine herrliche Zukunft vor mir liegt, müsste alle Angst überwunden werden können. Wenn Gott nicht einen einzigen kleinen Sperling vergisst, der nur ein paar Cent wert ist, wie sollte er dann uns vergessen? Wir sind doch viel mehr wert als ein Sperling. Glauben wir das nicht? Darum: fürchten wir uns nicht!
Michael Wanner, Pfarrer