Texterklärung

„Einen andern starken Engel“, so wird die überragende Gestalt von Johannes beschrieben. Dieser Engel reiht sich ein in die Schar der 7 Posaunenengel, die alle bedeutsame und für die Erdenbürger schwerwiegende Ereignisse auslösen werden. Der Engel, der aber nun vom Himmel herabkommt, ist ausgestattet mit einer unvorstellbaren Machtfülle. Nicht allein sein Auftreten ist überragend. Nein, er ist umgeben mit unverwechselbaren Insignien. Bei der Krönung von Charles III. waren das Krone, Schwert, Reichsapfel, zwei Zepter und der königliche Ring. Der Engel Gottes dagegen ist mit einer Wolke umkleidet und trägt auf seinem Haupt einen Regenbogen. Sein Angesicht strahlt wie die Sonne und er hat Füße wie Feuersäulen. Es braucht keine weitere Erklärung, wem er zuzuordnen ist, der Engel im Dienste Jesu Christi.

Nun geschieht Veränderung

Ist es von Bedeutung, dass jetzt der Jesus-Engel erscheint? Johannes darf sehen und begreifen: Nun geschieht Veränderung! Hat er das Lamm Gottes bisher in seiner Schau eher im Himmel ausgemacht (z. B. Kap. 5), so deutet das Auftreten dieses besonderen Engels an. Er kommt, Jesus Christus, Gottes Sohn!

Wie sein Herr hat nun auch der mächtige Bote ein Buch in der Hand, während er gleichzeitig auf Meer und Land tritt. Aber im Gegensatz zum Buch aus Kapitel 5, das mit 7 Siegeln verschlossen war, ist das Büchlein des Engels aufgetan. Und mit lauter, löwengleicher Stimme wird eine Botschaft herausgerufen – verstärkt von 7 Donnern. Ob Johannes selbst sie verstanden hat, bleibt verhüllt wie auch die Proklamation selbst.

So erleben wir es doch auch: Enthüllung und Verborgenheit. Uns ist das Evangelium Jesu anvertraut und wir sagen es den Menschen, damit sie die Versöhnung in Christus annehmen und ihm nachfolgen. Und gleichzeitig gibt es das Verborgene. Auch Christen finden oft bei Leiderfahrungen keine Erklärung und können die Wege Gottes häufig nicht verstehen (1Kor 13,12). Jesus Christus hat uns verheißen: „Euch ist´s gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen“ (Mt 13,11) – und dennoch bleiben wir noch im Glauben, nicht selten in Anfechtungen und noch wenig im Schauen. Bei allem, was enthüllt ist, bleibt für uns vorläufig manches Verborgene.

Der Schwur des Engels

Was für ein besonderer Moment – der Engel Jesu hebt bedeutungsvoll seinen rechten Arm zum Schwur und erinnert mit seinen Worten an Gottes ewige Existenz und an seine unvorstellbare Schöpfermacht. Alles Leben hat allein in ihm seinen Ursprung. Er allein hat Autorität. Und dann kann der Engel etwas sagen, das alles verändert: „Es soll hinfort keine Zeit mehr sein.“ Mit dem Schall der 7. Posaune wird das Geheimnis Gottes vollendet und die Weltgeschichte abgeschlossen, für immer. Es wird keine Verlängerung geben, keine weitere Verzögerung (vgl. 2Petr 3,9). Selbst die sog. „kleine Zeit“, die die Märtyrer noch ausharren müssten (Offb 6,11), wird mit dem Schwur des Engels als beendet betrachtet. Das Prophetenwort will nicht mehr verhüllen. Sämtliche Verheißungen werden erfüllt sein.

Auch in Daniel 12 wird von dieser Zeit gesprochen. Daniel beschreibt die letzte irdische Episode mit ganz ähnlichen Bildern und Begriffen wie Johannes. Für uns besonders bemerkenswert ist ein historisch bedeutsamer Hinweis des Propheten: Die Zerstreuung des heiligen Volks wird ein Ende haben.

Das Wort ward meine Speise

Johannes selbst macht nun eine aufregende Erfahrung. Aus dem bloßen Hörer und Seher wird nun ein unmittelbar Beteiligter. Der Apostel soll das offene Büchlein aus den Händen des mächtigen Engels nehmen und es förmlich verschlingen. Er soll nicht mehr allein Betrachter sein. Das Wort Gottes gilt es aufzunehmen. „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein“ (Jak 1,22). Der Verzehr des Büchleins wird für Johannes verschiedenen Wirkungen haben: Das Wort soll wie süßer Honig schmecken. Das erinnert an den Richter Simson, der durch Honig neue Kraft empfangen hat (vgl. Ri 14). Gleichzeitig enthält Gottes Wort manche Bitterstoffe, die reinigend und lösend wirken können.

Der ganze Vorgang lässt auch an den Propheten Hesekiel denken, der am Anfang seiner Berufung ebenfalls Gottes Wort essen soll und dann erstaunliche Dinge erlebt. Die christliche Gemeinde untersteht ebenfalls dem göttlichen Willen, sein Wort in sich aufzunehmen. Darum sind wir Bibelbewegung. Darum gehen wir persönlich in die Stille und fragen: Herr, wie sieht mein Weg aus, heute und in der kommenden Zeit?

Fragen zum Gespräch
  • Es wird keine Zeit mehr sein. Ist das ein Thema, über das ich mit den Menschen ins Gespräch kommen
    möchte?
  • Wie kommen wir aus einer Haltung heraus, die überwiegend das Aufnehmen und weniger das Weitergeben kennt?

Hermann Josef Dreßen, Gemeinschaftspastor

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