Texterklärung

Paulus macht Timotheus feinfühlig und ungeschminkt zugleich mit der anbrechenden Verfolgung der Christengemeinde vertraut. Gefragt sind dabei Stärke, Leidensbe reitschaft und Treue zum Auftrag. Diese aber erwachsen nicht aus den eigenen geistlichen Fähigkeiten, sondern allein aus der Orientierung am auferstandenen Jesus Christus (V. 8) und seiner Gnade (V. 1). Auch Paulus selbst bekräftigt die Rettungsbotschaft von Jesus Christus mit seinem Leben: Er wird wie ein Schwerverbrecher (möglicherweise im Block: „bis zu Ketten“: V. 9) im Gefängnis festgehalten. Doch mitten in allem gegenwärtigen Leiden leuchtet bereits das Ziel auf: Wir werden mit Christus leben (V. 11)!

Woher kommt die Power?

„Du nun, mein Sohn, werde stark durch die Gnade!“ (V. 1). Paulus gebraucht die Befehlsform im Passiv (!) und macht damit deutlich: Die Stärke, die im Leben mit und für Jesus erforderlich ist, kann nicht aus uns kommen. Die einzige Quelle dafür ist seine Gnade. Sie genügt und erweist ihre Macht gerade auch in der Schwäche (vgl. 2Kor 12,9), d. h. dort, wo wir mit unserem eigenen Latein schnell am Ende sind.

Teamgeist ist gefragt

Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Ausbreitung des Evangeliums auf viele Schultern verteilt wird
(V. 2). Dabei handelt es sich um das eine Evangelium, das Paulus selbst empfangen (1Kor 15,3b) und dann an seine Mitarbeiter und Gemeinden weitergegeben hat. Mit diesem soll Timotheus seinerseits zuverlässige und dafür geeignete Mitchristen beauftragen. Dabei liegt – wie bei Jesus in Matthäus 28,20 – der besondere Schwerpunkt auf dem „Lehren“.

Auf Nachfolge folgt Verfolgung

Von Natur aus wehren wir uns als Menschen gegen diesen „Normalfall“ des Christen-Lebens. Paulus führt den Leitsatz des Briefs in 1,8 („Leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes“) hier weiter aus, indem er anhand von drei Beispielen betont: Konzentriere dich auf das vorgegbene Ziel und lass dich nicht von Nebensächlichem davon ablenken!

Grund für alles Leiden von Paulus, seinen Mitarbeitern und seinen Gemeinden ist einzig und allein die Ausbreitung der Botschaft von Jesus Christus: Anlass für die hasserfüllte Ablehnung ist, dass der aus dem Geschlecht Davids hervorgegangene Messias sich nicht als machtvoller Herrscher, sondern als ans Kreuz gehenkter Verfluchter präsentiert hat. Doch in der Auferweckung hat Gott ihn als „Sohn Gottes in Kraft“ (Röm 1,4) vorgestellt, und so ist das Evangelium von ihm Kraft Gottes zur Rettung.

Zwar können die Boten mundtot gemacht werden, nicht aber die Botschaft. Es gibt somit Größeres und Wichtigeres als die persönliche Situation des Apostels. Denn Gottes Möglichkeiten reichen weit über den Aktionsradius seiner Zeugen hinaus. Darauf verweist Jesus in Lukas 19,40: Für den Fall, dass seine Jünger zum Schweigen gebracht werden, „so werden die Steine schreien“!

Worauf du dich verlassen kannst!

V. 11-13: Diese Zusage ist gewiss, und daher können sich die Jesus-Jünger darauf verlassen: Das Mit-Sterben (vgl. Röm 6,4.8) eröffnet das Mit-Leben. Den Mit-Leidenden („darunter bleiben“ statt „sich auflehnen“) verleiht Christus Anteil an seiner Herrschaft (vgl. Lk 12,30). Die nächsten beiden Sätze folgen zwar demselben Schema, lassen aber doch sehr aufhorchen: Wer die Glaubensbeziehung zu Jesus leugnet – etwa wenn er in der Christenverfolgung angeklagt und mit der (Todes-) Strafe bedroht wird –, riskiert damit, von Jesus dasselbe letztgültige Urteil über sich zu hören: „Ich kenne dich nicht“ (vgl. Mt 10,33). Und doch ist der unerwartete Neuanfang für den Verleugner Petrus (Joh 21,17) kein einmaliges Beispiel, sondern Ausdruck des Wesens von Jesus („er kann sich selbst nicht verleugnen“): Unsere Untreue entgegnet er mit seiner anhaltenden Treue („bleiben“)!

Fragen zum Gespräch
  • Gottes Wort ist noch längst nicht verstummt, wenn seinen menschlichen Zeugen Redeverbot erteilt wird. Welche weiteren Zeugen fallen uns ein? Zum Beispiel: Der segnende Christus in Rio de Janeiro; der Jesus-Film; Bibelverse auf Grabsteinen und in S-Bahnen …
  • Kennen wir ein Beispiel für die Aufforderung „Leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes“ Hat sich dabei der „Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (1,7) erwiesen und, wenn ja,
    wie? Vielfältige Zeugnisse dafür finden sich z. B. beim „Barnabas Fund“: https://www.barnabasaid.org
  • „Das Leiden führt uns Menschen auch zusammen in dem Sinn, dass wir füreinander Verantwortung
    spüren und wahrnehmen. Es bewirkt menschliche Solidarität, und das ist etwas Gutes“ (H.-W. Neudorfer). Haben wir das in unserer Gemeinschaft schon mal erlebt??

Dr. Eberhard Hahn, Pfarrer i.R.

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