Texterklärung

Eine besondere Wirkung mit ungeheurem Trennungspotential hat ausgerechnet Vers 15 gehabt. Paulus legt Timotheus nahe, das Wort der Wahrheit recht auszuteilen. Wörtlich steht hier griech. orthotomeo, also recht oder richtig schneiden. Die Bibel richtig schneiden bedeutet für Anhänger des sog. Dispensationalismus [Dispensation ist die lateinisch-englische Übersetzung des griechischen Wortes oikonomia (Haushaltung)], dass jede Zeitspanne seine eigene Haushaltung habe. Von daher seien auch bestimmte Bücher der Bibel nicht für alle geschrieben, sondern allein für die Menschen der entsprechenden Zeitspanne. So wären die Paulusbriefe allein für die Gläubigen des Neuen Bundes geschrieben worden, die Evangelien nur für Israel. Merkwürdig, dass ausgerechnet die inständige Mahnung des Apostels Paulus, nicht um Worte zu streiten, zu solchen Verwerfungen geführt hat.

Das Wort recht austeilen

Wie gut, dass Martin Luther sorgsam und geistlich übersetzt: „Teilt das Wort der Wahrheit recht aus!“ Und
wie hilfreich ist die Auslegung von Adolf Schlatter, der zu Vers 15 anmerkt: „Sehr häufig kann man christliche Worte hören, die zerstückelt, verdorben und mit Fremdem vermengt sind, als hätte eine Kinderhand mit der Schere in ein kostbares Tuch geschnitten“ (Erläuterungen zum NT). Wohlwissend um die oben genannte Theologie hat Schlatter das „rechte Schneiden“ vom Beruf des Paulus als Zeltmacher abgeleitet. Zum guten Schneiden sei „gesammelter Sinn, ein erfahrenes Auge und ein starkes Herz erforderlich“. Gerade schneidet der, der vertraut wird mit der biblischen Botschaft. Der gern die Bibel liest (Ps 1,2), gute Zusammenhänge herstellt und ein echtes Interesse an den Erkenntnissen anderer Christen hat. Zu Gottes Wort – so der herzliche Hinweis des Apostels – passen keine nutzlosen Streitgespräche
(vgl. 1Tim 6,4-5; Tit 3,9; Röm 14,1). Vielmehr soll das Wort Gottes weitergegeben und geteilt werden.

Falscher Lehre wehren

Von „törichten und unnützen Fragen“ schreibt der Apostel, von Verdrehung der Wahrheit, wie in der
Frage der Auferstehung. Und Paulus sieht die unnützen Streitgespräche nicht nur als vertane Zeit an, sondern beschreibt die Wirkung von verfälschter Lehre als schwerwiegende Krankheit. Alle in der Provinz Asien hätten sich schon von ihm abgewandt (2Tim 1,15), also auch vom Evangelium.

Ist da Timotheus nicht herausgefordert, als „rechtschaffener und untadeliger Arbeiter“ die biblische Botschaft richtig zu stellen? Und sind wir es nicht in gleicher Weise? Jesus Christus ist vielen Menschen begegnet, die Gottes Wort verdreht und andere damit belastet haben. Wie oft hat der Herr mit Pharisäern gesprochen und ihren Spott und ihre Ablehnung hingenommen! Aber er hat sie ausgehalten und gleichzeitig ihre falsche Haltung offen angesprochen. Er hat sie nicht in Unkenntnis gelassen, wer er ist. Es ging Jesus also nicht nur um Korrektur, um ein schlichtes Geraderücken falscher Lehre. Nein, ihm ging es um Klarstellung seiner eigenen Identität: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Wie begegnen wir heute falscher Lehre? Bedenken wir, dass es da nicht allein um Korrektur gehen kann, sondern um Klärung der Identität. Wer ist Christus und wer sind dann wir, die wir an ihn glauben?

Persönliche Ermahnungen

„Fliehe die Begierden der Jugend!“ (V. 22). Der Apostel spricht von Gefäßen zu ehrenvollem Gebrauch. Für Gott brauchbar zu sein, das ist ihm wichtig. Und aus seiner Erfahrung gibt es bei Mitarbeitern im Reich Gottes Prägungen und Verhaltensweisen, die wenig hilfreich und schon gar nicht ehrenvoll sind. Und hier befiehlt er Timotheus klar: „Fliehe die Begierden der Jugend!“ Für Paulus muss da nicht lamentiert werden. Hier muss die Person des Verkündigers verändert werden. Meide die Begierden! Fliehe! Und der Apostel traut es der Kraft Gottes offensichtlich zu, dass hier echte Veränderung geschehen kann: Ein wirkliches Abwenden von alten Verhaltensmustern und ein Zuwenden zu allem, was der Geist Gottes erneuernd an uns wirken kann. Ein Anspruch, der ein starker Zuspruch sein soll, eine echte Verheißung für Menschen, die dem Herrn dienen wollen als ehrenvolles Gefäß. Paulus hat diese Veränderung im eigenen Leben erfahren und wir werden es auch erleben.

Fragen zum Gespräch
  • Über theologische Fragen wird heute selten gestritten. Woran könnte das liegen?
  • Ungeistliches Geschwätz gefällt dem Herrn nicht. Früher sagte man: Rede, was gut, wahr und nötig ist. Wie reden wir? Haben wir hier Vorbilder??

Hermann Josef Dreßen, Studienleiter

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