Texterklärung

Die tiefgläubigen Pharisäer liebten es, den Sabbat mit großen Gastmählern zu feiern. Natürlich wurde alles dafür schon am Tag zuvor hergerichtet. Nun hatten sie dazu auch Jesus eingeladen, wobei sie ihn sehr genau beobachteten, denn sie wollten herausfinden, was hinter ihm steckt. Und das prüften sie daran, wie er sich zu Gottes Geboten stellte, denn darin sahen sie die verbindliche Mitteilung Gottes. Jesus hat ihre Ansichten und Gewohnheiten in vielem geteilt. Aber einiges hat ihn auch so sehr gestört, dass er es nicht übernehmen und auch nicht dazu schweigen wollte, weil hier in allzu sturer Auslegung der Gebote die ursprüngliche, gute Absicht Gottes verdreht wurde.

Sabbat – richtig und falsch verstanden (Vers 1-6)

Ein Wassersüchtiger ist ein Mensch, der mit der Ableitung der körpereigenen Flüssigkeit Probleme und deshalb mit Wassereinlagerungen zu tun hat. Zuerst schwellen die Beine an, dann kann sich auch weiter
oben Wasser bedrohlich ansammeln. So einer war hier unter den Gästen. Jesus sah sein Leid und wollte ihm helfen, wie es seinem Auftrag von Gott entsprach. Dass es Sabbat war, störte ihn nicht, im Gegenteil: Schließlich sollte ja die Beziehung zu Gott an diesem Tag ganz besonders tief erlebt werden. Jesus wusste aber, dass die theologisch hochgebildeten Männer im Raum innerlich gegen jede Heilung am Sabbat waren. Um sie herauszufordern, fragte er sie offen, ob sie eine Heilung am Sabbat als Sünde einstufen würden. Doch sie wollten nicht antworten. Oder konnten sie es nicht? In ihrer Lehre gab es dazu keine klare Antwort, denn so etwas wie die kraftvollen Heilungen von Jesus hatte es unter ihnen noch nie gegeben.

Um klarzumachen, dass er das Erbarmen Gottes zu den Menschen bringen wollte, heilte er den Kranken.
Und die Gelehrten kritisierte er für ihre scheinheilige Einstellung. Jeder von ihnen hätte ein Tier, das ihm selbst gehört, am Sabbat aus dem Brunnen gezogen, einem anderen leidenden Menschen aber die Heilung verwehrt. Damit wäre der Sinn des Sabbats in einem unbarmherzigen Sinn in sein Gegenteil verkehrt. Mit diesem Anspruch, das Gesetz im Sinne seines Erfinder anzuwenden, trat Jesus öfter auf (vgl. Mt 5,21.27.33; vgl. auch Mk 2,27).

Prominenz – richtig und falsch verstanden (Vers 7-11)

In jeder Gesellschaft gibt es vermeintlich wichtige und unwichtige Leute, Prominente und das Fußvolk. Auch unter den Frommen seiner Zeit hat Jesus diese Unterscheidung beobachtet, die oft bis ins Kleinste durchgezogen wurde. Jeder wollte möglichst weit oben stehen und die wichtigen Plätze besetzen. Insgeheim gab es ein Gerangel um möglichst viel Ehre und Anerkennung. Jesus ist davon angewidert. Wie es richtig geht, zeigt er in einer dafür erfundenen Beispielgeschichte. Als Geladener sollte man sich nicht auf den wichtigsten Platz setzen – man könnte empfindlich zurückgestuft werden. Besser ist es andersherum. Ja, der Mensch kann auch sonst leicht an seiner selbstgewählten Höhe zerbrechen. Aber Jesus hat hier auch das Reich Gottes im Blick (vgl. Mt 23,12). Bei Gott sind alle, die sich selbst nicht so wichtig nehmen und seiner Ehre Platz lassen, die eigentlich Wichtigen. Von dieser Umkehrung der Ersten und Letzten spricht Jesus auch in Matthäus 20,16. Er lehnt damit das gängige Schema der Einteilung der Menschen in prominent und unwichtig radikal ab.

Einladungen – richtig und falsch verstanden (Vers 12-14)

Ähnlich kritisch stellte sich Jesus zur Praxis der Einladungen zu Festen. Da blieben diese wichtigen Leute nämlich am liebsten unter sich. Sie gönnten denen Anerkennung und Köstlichkeiten, die ihnen dasselbe wieder geben konnten. Die anderen, die sich keine Feste leisten konnten, blieben außen vor. Von denen kam nichts zurück. Jesus stellt hier den Glauben der Pharisäer an den himmlischen Vater in Frage, der für die ausgleichende Belohnung sorgen wird. Auch ihre Barmherzigkeit wird deutlich angefragt, die bisher die Armen und Kranken übersah.

Fragen zum Gespräch
  • Was ist für uns wichtiger: Gottes Vorschriften oder Gottes Liebe? Darf man überhaupt so fragen?
  • Was sagt uns die alte Regel, man solle „ein weites Herz und ein enges Gewissen“ haben?
  • Was macht für uns den Sonntag zum Sonntag?
  • Schüler wollen gute Noten. Mitarbeiter einen Dank. Ist das Bedürfnis nach Geltung, Anerkennung und Wertschätzung falsch? Wie gehen wir richtig damit um?
  • Befinden wir uns in Familie und Gemeinschaft vorwiegend in einer Blase? Sollten wir da etwas ändern? Was wären mögliche Schritte dazu?

Johannes M. Rau, Pfarrer

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