Texterklärung

Michas Gottesbotschaft für Israel und Juda ist beides, Weckruf und Wehe-Ruf. Micha geißelt die Habgier und sozialen Ungerechtigkeiten, Bodenspekulation, Wucher und Brutalität beider Völker. Grausamkeiten, Begehren, Heucheln und heidnischer Götzendienst (1,7) prägen den Alltag der Menschen und leider auch seiner Propheten-Kollegen. Gott schweigt dazu nicht. Dieser Lebensstil verletzt eindeutig den mosaischen Bund (5Mo 27-28). Micha lässt sich rufen, um Gottes Botschaft auszurichten. Er hofft auf Einsicht, Buße und Umkehr und erlebt zunächst leider eine tiefe Respektlosigkeit gegen Gott. Man hat Gott zum Hampelmann degradiert, der unsoziales und böses Verhalten tolerieren soll.

Der Ego-Trip führt in den Untergang (2,1-11)

Das Maß an Ungerechtigkeit und Verbrechen ist voll. Gott könnte wortlos zum Gericht übergehen. Er tut es aber noch nicht, sondern schickt seinen Propheten mit einem schockierenden Wehe-Ruf („Wehe“, hebr. „hoi“, ist Teil einer Totenklage, vgl. Jes 5,8.11). Der Untergang der Schuldigen ist besiegelt! Die Menschen haben sich zu sehr erlaubt, was Spaß macht und sind sich selbst Gesetz. In ihrer grenzenlosen Besitzgier rauben und unterdrücken sie die Schwachen nach Belieben. Dabei schrecken sie weder vor Veralberung des Propheten (V. 6), Diebstahl des einzigen Mantels (V. 8; 2Mo 22,25f.), Zerstörung von Familien (V. 9), noch Landraub (V. 2+9) zurück (vgl. 3Mo 25,23; 1Kö 21). Nichts ist ihnen heilig. Micha lässt Gott selbst zu Wort kommen: Euer skrupelloses und gottloses Verhalten wird zum Untergang führen (1,10.12; 3,12). Angesichts dieser Gerichtsandrohung ist sich Micha sicher, jetzt über Gottes Geduld (V. 7) zu sprechen.

Es gibt Hoffnung für ein Leben nach dem Untergang (2,12-13)

Ein weiteres Mal wird Gott selbst zitiert. Gott hat noch Hoffnung. Er will retten. Er signalisiert dem Rest der Getreuen: Es gibt ein Leben nach dem Untergang! An drei Stellen spricht Micha von der zukünftigen Sammlung und Segnung des Volkes (1,12f.; 4,1-8; 7,8-20). Die kurze Heils-Weissagung in V. 12+13 hebt jedoch das Gericht nicht auf. Doch sie weist in die Zukunft: Der Herr wird als Hirte sammeln und als König vorangehen. Hat sich das nicht in einem ersten Schritt in der Erdenzeit Jesu (Mk 1,14+15) erfüllt, verknüpft mit dem Ruf nach Glaube und Umkehr? In einem zukünftigen zweiten Schritt wird die langersehnte Zeit des Heils auch für Israel und die Völker anbrechen und Jesu Königtum vervollständigt (Zef 3,15; Sach 14,9; 1Tim 6,14-15).

Einer, der sich gegen den Untergang stemmt (3,1-12)

Micha präzisiert seine Botschaft und spricht Anführer, Richter, Mächtige, Wahrsager, Propheten und Priester direkt an. Wo liegt das Problem? Gottlose Geldgeber bestimmen die Predigt. Die Propheten leugnen Gottes Gericht und weissagen Gutes, solange die Kasse stimmt. Der Charakter der Ausbeuter wird beschrieben: Eine Feudalgesellschaft, in der es sich wenige Mächtige und Reiche auf Kosten des geringen Volkes gut sein lassen. Das bedeutet Zwangsarbeit, Enteignung und Brutalität. Die Aufgabe des Gottesglaubens führt zu korruptem Verhalten, sozialem Absturz und sittlichem Zerfall. Jerusalem und der Tempel sind nicht mehr Orte der Anbetung, sondern zu einem Schutzschild der Gegenwart Gottes verkommen. Wie reagiert Gott auf seine Vereinnahmung? Er entzieht den unverschämten Propheten seine göttliche Vollmacht. Sie werden ohne prophetische Schau in geistlicher Dunkelheit enden, rot
werden und ohne Worte bleiben.

Micha dagegen sieht sich mit Mut, Geist und Kraft Gottes beschenkt und einer heiligen Passion für Gottes
Sache erfüllt. Er redet nicht dem Mainstream das Wort, sondern redet Klartext, macht Sünde und Sünder öffentlich. Er empfindet bei aller Gottes-Verhöhnung eine schwere Schuld seines Volkes und steuert dagegen, wo er nur kann.

Wichtig: Michas lebensgefährlicher Einsatz ist nicht vergeblich! Dass Micha durch seine Botschaft zum
temporären Retter seines Volkes und zum Lebensretter des Propheten Jeremia geworden ist, lesen wir 100 Jahre später (Jer 26,4-6.18-19). Jeremia wird zum Tod verurteilt, doch mutige Älteste retten ihm das Leben, indem sie den König an den Propheten Micha erinnern. Jerusalems wieder aufkommendes und permanentes Fehlverhalten bringt jedoch nach 50 weiteren Jahren das Fass zum Überlaufen. Als die Babylonier im Jahre 586 v. Chr. Jerusalem und den Tempel zerstören, erfüllt sich dann doch das Gerichtswort von Müllhalde und Schrottplatz (V. 12). Der falsche Traum vom todsicheren Jerusalem war ausgeträumt. Gott behält am Ende immer Recht!

Fragen zum Gespräch
  • Wo machen wir uns als das Bodenpersonal Gottes unglaubwürdig?
  • Wo lassen wir uns vom Mainstream-Denken vereinnahmen, nur um unsere Ruhe zu haben?
  • Gibt es Anhaltspunkte in Bibel und Geschichte, die uns ermutigen, für unser Volk „in die Bresche zu
    springen“ (Hes 22,30), im Glauben, dass es nicht vergeblich sein wird?

Gotthilf Holl, Gemeinschaftsreferent i.R.

Die Viertel-Schtond zu Micha 2,1-3,12 mit Cornelius Haefele und Matthias Hanßmann
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