Texterklärung

Durch diese orientalische Familiengeschichte zieht sich wie ein roter Faden die göttliche Führung mit den beteiligten Personen. Oft verborgen und doch wirkt Gott zum Heil der Menschen. Der kluge, aber nicht ungefährliche Plan der Noomi fügt sich in den Heilsweg Gottes. Er achtet darauf, dass alles gut ausgeht.

Noomis Plan (Vers 1–5)

Was mag Noomi gedacht haben? Es wäre so schön, wenn aus der freundlichen Sympathie von Boas für Rut mehr würde. Besinnt er sich auf seine Pflicht als „go’el“, als „Löser“? Aber nichts dergleichen geschieht. Da fasst Noomi einen Plan: „Meine Tochter, ich will dir eine Ruhestatt suchen, dass dir’s wohl gehe.“ Warum dieser Weg? Es wird nicht erklärt, aber auch nicht verurteilt.

Eine direkte Aussprache mit Boas scheint wenig aussichtsreich: Rut ist viel jünger, sie ist arm, sie ist Ausländerin und der erste Sohn würde den Namen des verstorbenen Mannes der Rut tragen. Noomi verspricht sich von ihrem Plan besseren Erfolg. Inwieweit sie dabei Gott mit einbezogen hat, bleibt verborgen. Allerdings kommt sein Name in den Überlegungen nicht vor. D. Bonhoeffer: „Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden als mit unseren vermeintlichen Guttaten.“

Noomi will für Rut eine Heimat finden, einen Ort, wo sie hingehört und zu Hause sein kann, auch wenn sie selbst nicht mehr da ist. Sie weiß: Wenn Rut in eine jüdische Familie hineinkommt, dann gehört sie damit auch ganz zum Volk Gottes. Dabei ist es ihr nicht egal, dass sie halt irgendwo unterkommt. Nein, sie will so gut wie möglich für sie sorgen und setzt dabei wirklich alles auf eine Karte. Rut widerspricht nicht, sondern willigt ein: „Alles, was du mir sagst, will ich tun.“

Ein gewagtes Spiel? (Vers 6–15)

Rut geht diesen Weg der Ungewissheit. Aus Liebe und Gehorsam gegenüber ihrer Schwiegermutter? Aus
Zuneigung zu Boas, dem viel älteren Mann? Im Wissen, was auf dem Spiel steht – die Zukunft der Familie?
Vielleicht auch im Vertrauen auf den Gott Israels? Was für Gedanken sind der Rut wohl auf dem Weg durch den Kopf gegangen? Wir kennen den Ausgang der Geschichte, aber die junge Frau weiß nicht, was sie erwartet. Wird man sie entdecken? Wie wird Boas ihren Besuch aufnehmen? Wird er sie wegschicken oder die Situation ausnützen? Was bedeutet das, was Noomi ihr gesagt hatte: „Er wird dir sagen, was du tun sollst“? Alles ist möglich, der gute Ausgang völlig ungewiss!

Zunächst läuft alles nach Plan; und dann um Mitternacht kommt es zur entscheidenden Situation. Boas
wacht auf, sieht die Frau zu seinen Füßen und fragt: „Wer bist du?“ Sie antwortet: „Heirate mich, denn du bist der Löser!“ (vgl. Hes 16,8). Da ist nichts Anzügliches, es bleibt kein Raum für zweideutige Gedanken. Offen spricht Rut aus, worum es in dieser Nacht geht und warum sie hier ist.

Für Boas ist die Reinheit im Handeln der Ruth eindeutig. Und nun tritt auch Gott wieder sichtbar auf den Plan: „Gesegnet seist du vom Herrn, meine Tochter! Du hast deine Liebe jetzt noch besser erzeigt als vorher …“ Sie ist nicht den jungen Männern nachgelaufen, sondern hat das Wohl ihrer Schwiegermutter im Blick behalten. Und ganz Bethlehem weiß, dass sie eine „tugendsame Frau“ ist. Boas hat Rut zugesprochen, dass sie unter Gottes Flügeln Zuflucht haben soll (so wie er und ganz Israel) – und jetzt findet sie unter seinem Mantelsaum menschliche Zuflucht. Bedenkt man, dass der ganze Plan der Noomi auch ganz anders hätte enden können, dürfen wir das gute Ende ohne weiteres mit Gott in Verbindung
bringen. Er hat seine Flügel über Rut gebreitet.

Wie steht’s, meine Tochter? (Vers 16–18)

Rut schläft sorglos in dieser Nacht. Wie mag es Noomi ergangen sein? Vielleicht wünschen wir ihr, dass sie
kein Auge zugemacht hat. Dass es ihr nicht unbedingt wohl war, zeigt die Frage, mit der sie Rut begrüßt: „Wie steht’s mit dir, meine Tochter?“ Als Rut berichtet, steht für ihre Schwiegermutter fest, dass die Sache einen guten Verlauf nimmt. Es scheint für sie klar zu sein, dass Boas alles dafür tun wird, Rut zur Frau zu nehmen, und dass damit der Fortbestand der Familie nach menschlichem Ermessen gesichert ist.

Fragen zum Gespräch
  • Wie steht es mit uns? Können wir die Stunde abwarten, in der Gott eingreift?
  • Wie viel Raum hat Gott in meinem Denken, Reden, Handeln und in meinen Entscheidungen?
  • Wie können Menschen in unseren Gemeinschaften und Gemeinden Heimat finden und Geborgenheit
    erleben? Wie können wir ein Stück Leben teilen?

Edmund Betz

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