Texterklärung

Wer der Autor des 1. Johannes ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert, da jegliche Verfasserangabe fehlt. Im Gespräch sind Johannes, Sohn des Zebedäus und Apostel Jesu, oder der Presbyter Johannes von Ephesus. Ebenso uneinig sind sich die Exegeten, ob 1. Johannes und das Johannes-Evangelium vom gleichen Verfasser stammen. Je nach Vorverständnis variieren auch die
Ansichten zum Ort und Zeit der Abfassung. Einige (z. B. Bultmann) lesen 1. Johannes als einen Brief, der das Johannes-Evangelium voraussetzt und seine Theologie für eine spätere, veränderte Situation auslegt.

Andere (z. B. Schnelle) gehen davon aus, dass 1. Johannes erst nach dem Johannes-Evangelium verfasst
wurde. Eine Information über mögliche Adressaten liefert die Anrede „meine Kinder“ (2,1) und „meine
Lieben“ (2,7), die eine innige Beziehung zwischen Briefschreiber und -Empfänger voraussetzt.

Dem 1. Johannes-Brief fehlen der typische Briefeingang und -schluss. Stattdessen beginnt Johannes seinen Brief mit einem Zeugnis davon, wie er Jesus persönlich begegnet ist (1. Joh 1,1-4) und verleiht seinen Worten dadurch besondere Autorität. In den folgenden Versen entfaltet er die zentrale Botschaft dessen, was er bei seiner Begegnung mit Jesus Christus „gehört“ und „gesehen“ hat: „Gott ist Licht; bei ihm gibt es nicht die geringste Spur von Finsternis“ (1. Joh 1,5). Der Abschnitt Johannes 1,6-2,6 beschäftigt sich mit dem moralischen Aspekt von Sünde und wie wir als Nachfolger Jesu dazu stehen. In fünf Bedingungssätzen formuliert Johannes eine Antwort darauf.

Das Leben im Licht (1,5-7)

Die Metapher „Gott ist Licht“ drückt etwas von seiner reinen Gerechtigkeit, Heiligkeit, Wahrheit und Liebe aus. Er setzt den Maßstab für ein Leben nach seinem Willen. In 1. Mose 1,3-5 lernen wir Gott als den Erfinder des Lichts kennen. Besonders die Psalmen bringen Gott vielfach in poetischer Weise mit Licht in Verbindung (Ps 27,1; Ps 110,3; Ps 104,2). Im Johannes-Evangelium spricht Jesus von sich selbst als das „Licht der Welt“ (Joh 8,12; 9,5) und bei Matthäus gilt dasselbe für seine Nachfolger (Mt 5,14). Als Menschen, die in Gemeinschaft mit ihm leben, sind wir „Kinder des Lichts“ (Joh 12,36) und sollen das auch durch unser Leben bezeugen. Johannes legt großen Wert auf Integrität und Authentizität, wahrer Glaube muss sich für ihn in der Praxis erweisen. Wer sich „hintenrum“ anders verhält, als er sich „vornerum“ gibt, entpuppt sich als „Lügner“ (V. 6).

Das Leben in der Dunkelheit (1,8-10)

Nun befinden wir uns jedoch, solange wir leben, in einer Spannung: Zwar sind wir gerettet und von der Sünde reingewaschen (V. 7) und dennoch sündigen wir noch (V. 8). Die Sünde bestimmt zwar nicht mehr unsere Identität, aber sie ist noch eine Realität, in der wir leben. So wie Licht und Finsternis nicht gleichzeitig existieren können, so können für Johannes auch Christen keine dauerhafte Gemeinschaft mit der Dunkelheit haben (vgl. Röm 6). Als „Werke der Finsternis“ (Röm 13,13f.) können die „Werke des Fleisches“ (Gal 5,19f.) verstanden werden.

Die Verwandlung (1,9; 2,1-2)

Die dritte Art der Bedingungssätze weist den Weg vom Leben in der Dunkelheit: Er führt über das Bekennen der Sünde. D. Bonhoeffer schreibt dazu: „Wer mit seinem Bösen allein bleibt, der bleibt ganz allein. Es kann sein, dass Christen trotz gemeinsamer Andacht, gemeinsamen Gebetes, trotz aller Gemeinschaft im Dienst allein gelassen bleiben, dass der letzte Durchbruch zur Gemeinschaft nicht erfolgt, weil sie zwar als Gläubige, als Fromme Gemeinschaft miteinander haben, aber nicht als die Unfrommen, als die Sünder. Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein (…) Darum bleiben wir mit unserer Sünde allein, in der Lüge und der Heuchelei; denn wir sind nun einmal
Sünder.“ [D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben (1938), S. 93].

Johannes will gerade das nicht: dass ein Gläubiger ein Doppelleben führt, weil er seine Sünde verbergen muss. Umsonst wäre das, wo wir doch einen „Fürsprecher“ haben, der uns von der Sünde befreien will. Seiner Verfehlung ins Gesicht zu schauen, kostet Überwindung. Und dennoch liegt darauf die Verheißung zu neuem Leben.

Laura Witrstruk,
Sozialpädagogin

Fragen zum Gespräch

  • Martin Luther bezeichnet den Christen als „Sünder und Gerechten“ zugleich. Stimme ich dieser Aussage zu?
  • Wie können wir heutzutage angemessen von Sünde reden? Welche Chancen und Herausforderungen gibt es?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, in Anlehnung an Bonhoeffer in unseren Kreisen von Sünde frei zu werden?

Viertel-Schtond

Entdecke auch die „Viertel-Schtond“ mit Marianne Dölker-Gruhler zu diesem Text.

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