Engel sind himmlische Wesen. Sie gehören in eine andere Welt. Die Bibel öffnet immer wieder kurz den Blick in diese andere Welt hinein – dorthin, wo Gottes Macht und Herrlichkeit sichtbar werden. Wenn Propheten einen solchen Blick schildern, berichten sie häufig auch von den Engeln, die Gott umgeben und zu seinem himmlischen Hofstaat gehören (z. B. Jesaja 6,2-3; Offenbarung 8,2).

Erkannt und unerkannt

Engel gehören zu einer anderen Welt, und doch tauchen sie auch in unserer Welt auf. Dabei ist auffällig, dass sie von den einen erkannt werden, von anderen aber nicht. So ist es zum Beispiel in der Geschichte aus dem Alten Testament, in der die Geburt des Richters Simson angekündigt wird. Der Engel erscheint und Simsons Mutter weiß sofort, dass es ein Engel ist: „… seine Gestalt war anzusehen wie der Engel Gottes, zum Erschrecken …“ (Richter 13, 6). Als dann aber ihr Mann Manoach mit dem Engel spricht, muss er erst nachfragen: „Bist du der Mann, der mit der Frau geredet hat?“ (V. 11). Er erkennt ihn nicht als Engel. Erst als dieser auf wunderbare Weise verschwindet, „erkannte Manoach, dass es der Engel des Herrn war“, allerdings begreift er immer noch nicht, dass es nicht Gott selbst war (V. 21–22), sondern nur sein Bote.

Engel gehören zu einer anderen Welt, und doch tauchen sie auch in unserer Welt auf.

Dr. Matthias Deuschle

Engel treten offensichtlich nicht immer auf dieselbe Weise in diese Welt. Einmal werden sie sofort erkannt und lösen Erschrecken aus, so zum Beispiel bei der Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers (Lukas 1,11f.) oder am leeren Grab (Lukas 24,5), ein anderes Mal erscheinen sie ohne Glanz und Herrlichkeit, Menschen zum Verwechseln ähnlich. Bei der Ankündigung von Simsons Geburt gilt sogar beides von ein- und derselben Gestalt.

Nicht auf die Gestalt kommt es an

Was die Engel ausmacht, ist also nicht ihre äußere Gestalt, sondern ihre Botschaft: Sie kündigen etwas Neues, etwas Unerwartetes an, nicht selten die Geburt eines besonderen Menschen. Typischerweise erscheinen Engel an Schlüssel stellen der Heilsgeschichte. Darum ist die Weihnachtsgeschichte voll von Engelserscheinungen. Dort tauchen sowohl einzelne Engel auf, die eine Botschaft ankündigen, als auch der Engelschor über den Feldern der Hirten. Hier geschieht beides: Engel kommen auf diese Welt und diese Welt öffnet sich hin zur himmlischen Herrlichkeit. Das macht darauf aufmerksam: Die Geburt Jesu ist mehr als alles, was bisher verkündigt wurde. Gottes Herrlichkeit kommt selbst auf die Welt. Engel erscheinen in Schlüsselmomenten der Heilsgeschichte. Dazwischen machen sie sich eher rar. Erscheinungen von Engeln sind auch in der Bibel nichts Alltägliches. Vor allem aber warnt die Bibel davor, die Engel als eigenständige Wesen zu verehren (Kolosser 2,18). Sie gehören zu dem Gott Israels, zu dem Vater Jesu Christi. Er macht sie zu seinen Boten. Sie unterstehen seinem Willen. Und nur so haben sie Bedeutung.

Engel machen sich nichts aus sich

Das gilt auch, wenn die Engel nicht nur reden, sondern handeln. Engel handeln in Gottes Namen: Ein Engel
schützt die drei Freunde Daniels im Feuerofen (Daniel 3,28), Engel dienen Jesus bei der Versuchung (Matthäus 4,11), ein Engel befreit Petrus aus dem Gefängnis (Apostelgeschichte 12,8). Nicht immer bringen sie Gutes. Sie können auch Gottes Gericht vollziehen (2. Samuel 24,16; Matthäus 25,31; Offenbarung 8,6ff.).

In der Weihnachtsgeschichte spielen Engel eine zentrale Rolle.

Wenn Engel im Auftrag Gottes handeln, lassen sie sich oft gar nicht von Gottes Handeln unterscheiden. Das passt dazu, dass sich Engel offenbar nichts aus sich selbst machen: „Warum fragst du nach meinem Namen?“, sagt der Engel in Richter 13. Nicht der einzelne Engel ist entscheidend, sondern seine Herkunft von Gott, auf den er verweist.

„Dein Heiliger Engel sei mit mir“

Es macht keinen Unterschied, ob ich glaube, dass Gott mich schützt, oder ob ich – mit Martin Luther in seinem Morgen- und Abendsegen – zu Gott bete: „Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“ Und doch ist es gut anzuerkennen und damit zu rechnen, dass es Engel gibt. Es gibt nicht nur unsere Welt, sondern auch Gottes Wirklichkeit. In ihr gibt es mehr als wir denken, auch
Mächte und Gewalten, die wider Gottes Herrschaft und seinen Willen streiten. Doch sie stehen keinesfalls auf einer Stufe mit Gott. Allein Gottes Engel werden mit ihnen fertig (vgl. Offenbarung 12,7-9).

Die Geschichten von den Engeln in der Bibel zeigen uns: Gottes Arm ist nie zu kurz. Er begegnet und bewahrt uns so, wie es für uns angemessen ist. Er hat unendlich viele Möglichkeiten. Er ist kein einsamer Weltenlenker, sondern der Schöpfer der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, der Herrscher der himmlischen Heerscharen, die ihn ununterbrochen loben und in seinem Auftrag handeln, ob wir es merken oder nicht.

Pfarrer Dr. Matthias Deuschle ist Studienleiter im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen.

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