Wie ich trotz alledem meinen Glauben an Gott nicht verliere
Zugegeben, manchmal ist meine Arbeit als Reporterin nicht einfach und mir fehlen einfach die Worte. So im Sommer 2021. Mehrfach war ich als Reporterin im Ahrtal unterwegs. Manche der Begegnungen sind mir immer noch gegenwärtig: Eine Frau erzählt mir, wie sie eigentlich schon mit ihrem Leben abgeschlossen hatte, weil die Fluten schon ihr Hausdach erreicht hatten, auf dem sie seit Stunden ausharrte. Dann – nahezu in letzter Sekunde – konnte ihr Nachbar sie mit seinem Boot retten. Andere hatten weniger Glück. In einem anderen Dorf erzählen mir die Menschen, wie sie mit ansehen mussten, wie eine junge Familie von den Wassermassen fortgerissen wurde. Irgendwann verstummten die Schreie. Hatten die Überlebenden Glück? Viele von ihnen kämpfen bis heute mit der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse.
Hoffnungslose Situationen sind mir als Reporterin schon mehr als genug begegnet, nicht erst im Ahrtal: Kinder, deren Lebensperspektive scheinbar nur Hartz IV ist. Menschen, die jahrelang unter erlittenem Unrecht leiden. Manchmal kann sich durch eine Berichterstattung etwas ändern, eine Garantie ist es nicht. Als Reporterin ist es mein Job, zu berichten, hinzusehen, Fragen zu stellen, einzuordnen. Zupacken und helfen tun andere. Das ist manchmal eine enorme Spannung. Dabei habe ich den großen Vorteil: ich kann nach getaner Arbeit die Situationen verlassen. Das können Betroffene nicht. Dennoch gilt es, Erlebtes zu verarbeiten, gerade auch das, worauf ich keine Antworten habe. Was ich immer wieder versuche ist, zur Stille und Ruhe zu kommen. Manchmal hilft aufschreiben oder alles wie innerlich in eine Kiste packen und sie Gott hinhalten. „Gott wird abwischen alle Tränen“ heißt es in der Bibel. Ja, aber möglicherweise noch nicht im Hier und Heute. Das ist eine sehr große Spannung, die es auszuhalten gilt.
Und manchmal kann ich einfach nur staunen. Die Frau im Ahrtal erzählte mir auch, wie sie in ihrer scheinbar letzten Stunde anfing zu beten. Nach einem Interview mit einem sehr verzweifelten Mann, sende ich ein Stoßgebet gen Himmel. Es vergehen keine fünf Minuten, dann zieht ein Trupp Helfer an mir vorbei – schnurstracks in Richtung des Mannes und verschwindet in seinem Haus.
Iris Völlnagel,
freiberufliche Redakteurin und Reporterin, Leipzig