Auf das Thema „Verlustangst“ kam ich durch die Suche nach der Ursache für Verschwörungstheorien in der Coronazeit. Ich entdeckte Artikel unterschiedlicher Soziologen, die als Ursache Verlustangst sehen. So formuliert der Soziologe Andreas Reckwitz: „Populismus ist das Resultat von Verlustwut.“ Er schreibt über
kollektive Verlusterfahrungen, das brüchige Fortschrittsversprechen der Moderne und Formen verlustorientierter Politik. Und er stellt fest: Moderne Gesellschaften, die vom Fortschrittsnarrativ geprägt sind, tun sich schwer, mit Verlusten umzugehen.

Klimakrise, Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise, Pandemie, Energiekrise und viele anderen Krisen lösen Ängste aus. Wir alle sind von diesen Krisen existenziell betroffen – besonders von der Angst, Sicherheiten zu verlieren. Doch Christen vertrauen einem, der selbst auf göttliche Herrlichkeit verzichten konnte (Phil 2,6). Der seinen Nachfolgern zumutete, auf alle Sicherheiten zu verzichten und sie ohne Geld, doppelte Kleidung und Brot aussandte (Lk 9). Der sich in der Frage nach der Sorge um unser Leben eindeutig positionierte (Mt 6). Für Jesus war klar: Es gibt keine menschlichen Sicherheiten im Reich Gottes. Es gibt für Christen nur eine Sicherheit – Gott selbst.

Persönlich betroffen – und dankbar

„In der Welt habt ihr Angst!“ – Damit wurde ich persönlich konfrontiert, als ich mit einer lebensgefährlichen akuten Blutarmut eingeliefert wurde. In den Wochen auf der Onkologie begegneten mir viele Menschen, die um ihr Leben fürchten mussten. Als es mir schlecht ging und der Ausgang der Krankheit offen war, tröstete mich ein Gedanke: Gott hat mir 66 Jahre wertvolles und gesegnetes Leben geschenkt. Ich habe kein Recht auf mehr – jeder neue Tag ist Geschenk. Die Dankbarkeit für das Erfahrene
schenkte mir Gelassenheit. Und dies strahlte aus – in einigen Gesprächen konnte ich andere in ihrer (Verlust)Angst helfen.

Inzwischen geht es mir (fast) gut. Die Dankbarkeit habe ich mir erhalten. Getragen von vielen Erfahrungen mit Gott und im Leben blicke ich gelassen in die Zukunft – trotz des Wissens, dass wir wahrscheinlich auf manches in den nächsten Monaten verzichten müssen. Bei Jesus lernen wir, dass Verzicht auch Gewinn ist. Er konnte sein Leben lassen, damit wir ewiges Leben haben. Er konnte auf menschliche Sicherheiten verzichten und hat im Verzicht Gottes Hilfe erfahren. Das nimmt Christen (nicht alle Sorgen, aber) jegliche Verlust-Angst – oder?

Hans Veit, Pfarrer i.R.

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