„Altsein ist eine ebenso schöne und heilige Aufgabe wie Jungsein, Sterbenlernen und Sterben ist eine ebenso wertvolle Funktion wie jede andere …“ behauptete Hermann Hesse. Längst nicht jeder würde diese steile These unterschreiben. Diejenigen, die es tun, machen aber einen großen Unterschied.

Wie kann man sich auf diese schöne und heilige Aufgabe vorbereiten? Wie kann man jemandem begegnen, der mittendrin im „Altsein“ ist? Ich möchte Sie mit einigen Gedanken dazu mit in unseren „heilig-schönen“ Pflegeheimalltag nehmen …

Was ist Schönheit?

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“ Was sehe ich als Betrachter, wenn ich ein Pflegeheim betrete? Funkelnde Augen über die neue Dauerwelle? Stolz, weil der alte Anzug immer noch am Sonntag zum Einsatz kommt? Glück, weil die Fingernägel neu lackiert sind?

Ein Gesicht, das von jahrzehntelanger Lebenserfahrung gezeichnet ist? „Schönheit hat viele Gesichter.“ Es ist unsere Aufgabe, diese bei unseren Bewohnern wahrzunehmen und zu feiern. Den Fokus nicht auf scheinbare Defizit zu legen.

„Wir brauchen eine Gesellschaft, die die Schönheit des Alters sichtbar macht.“ (Prof. Tobias Esch). Dies geschah unter anderem durch den Besuch eines Gmünder Fotostudios. Es war ein unglaublich gelungener Vormittag für unsere Bewohner. Es herrschte eine Bombenstimmung. Und den beiden Fotografinnen gelang es, die Schönheit unserer Bewohner eindrucksvoll zu dokumentieren. Die Damen und Herren fühlten sich so wertgeschätzt und wahrgenommen dadurch. Nein, sie sehen nicht mehr aus wie mit 20 oder 30. Aber sie sind wunderschön.

Mit dem äußeren Erscheinungsbild verändern sich auch die Bedürfnisse des alten Menschen. Zum Beispiel das Ruhebedürfnis. Ein langes und ereignisreiches Leben liegt hinter ihm. Das muss verarbeitet werden. Das hat müde gemacht. Die Bewohner schätzen es, Zeit zum Nachdenken zu haben, sich zu erinnern, ungestört zu träumen, dabei auch mal einzunicken …

Gesprächsbereit

Viele Bewohner möchten über ihr nahes Lebensende sprechen. Sie haben eine Ewigkeitssehnsucht. Sie wollen etwas abschließen. Sich vorbereiten. Ich bin froh, dass wir Abschiedsgottesdienste feiern, wenn Bewohner versterben. Für unsere lebenden Bewohner sind das in der Regel echte Highlights. Sie können Sehnsüchte oder Ängste aussprechen. Sie erleben, wie würdevoll jeder bis zuletzt begleitet wird. Sie wissen: bei mir wird das auch so sein. Der alte Mensch möchte sich gebraucht fühlen. Wir haben mit der älteren Generation einen unfassbaren Schatz an Erfahrung und Weisheit. Den sollten wir nicht verstauben lassen. Wir dürfen nachfragen, z. B.: „Wie machen Sie Ihren Kartoffelsalat?“ Dadurch fühlt sich der Bewohner kompetent und gebraucht und wir haben etwas dazugelernt.

Ein Ja zum Alter finden, auch zum eigenen, erweist sich als herausfordernd, aber immer wieder auch lohnenswert.

Anja Kontermann,
Heimleitung Pflegeheim Schönblick

Diesen Beitrag teilen