Vor einigen Jahren beschäftigte ich mich bei „Stillen Tagen“ mit diesem Bild von Rembrandt und las dazu das geistlich tiefgehende Buch von Henri Nouwen: Nimm sein Bild in dein Herz (Herder 1991).

Die Entdeckung

Die Hände des Vaters sind verschieden! Die rechte eine Frauen-, die linke eine Männerhand. Väterlich und mütterlich begegnet mir der Vater, auch wenn ich schuldbeladen zu ihm komme! Gott begegnet mir also in verschiedenen Weisen – väterlich und mütterlich, und insbesondere als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Großartig, als ich etwas Ähnliches bei Paulus entdeckte: Thessalonicher 2,7b.8.11.12!

Die Ernüchterung

Am rechten Bildrand steht ein aufrechter, vornehmer Mann, der sich auf seinen Stock stützt und das Geschehen zwischen Vater und heimgekehrten Sohn distanziert beobachtet. Vermutlich ist es der ältere Sohn, der die Pharisäer zur Zeit von Jesus verkörpert. In künstlerischer Freiheit malt Rembrandt ihn ins Bild, obwohl er bei der Rückkehr des jüngeren Sohnes gar nicht im Hause ist. Abseits steht er, mit großem Abstand zum Vater und zum Bruder. Er lebt im Haus des Vaters, aber nicht beim Vater, nicht mit dem Vater zusammen.

Beziehungslos! Äußerlich gehört er dazu, aber innerlich ist er weit weg.
Stocksteif! Sein Stock und die Körperhaltung sind nahezu parallel. Ohne äußere Hinwendung, ohne innere Bewegung.
Unbeteiligt, unberührt verfolgt er das Geschehen, das doch seinen Vater umfassend in Bewegung gebracht hatte (es jammerte ihn, er lief dem Sohn entgegen!).

Und dann traf es mich wie Keulenschläge – war es der Heilige Geist? -: Genau so stehst du vor Gott und hältst ihm vor: „So viele Jahre diene ich dir schon an der christlichen Schule und in der Gemeinde!“ Christsein als Leistung. | „Ich bin doch fromm aufgewachsen und lebe ganz anständig!“
Christsein als Moral. | „Ich mache nicht auf Party, kein Halligalli, lebe nicht in Saus und Braus!“
Christsein als Verzicht. | Der ältere Sohn – der bin ich! Was für eine große Ernüchterung!

Die Erfahrung

Aber dann kam ein deutliches Flüstern des Heiligen Geistes zu mir: Wenn du wie der ältere Sohn bist, dann gelten dir auch die Zusagen des Vaters ganz persönlich:
„Du bist immer bei mir!“ Den Vater lieben ist wichtiger, als ihm zu dienen.
„Alles, was mir gehört, gehört auch dir!“ Aus der Fülle des Vaters zu leben, ist besser als ein anständiges Leben.
„Lass uns feiern und fröhlich sein!“ Freude über das Leben im Vaterhaus Gottes ist größer als Spaß und Fun.

Ja, so darf ich leben! So darf ich Erfahrungen im Vaterhaus Gottes machen!

Martin Kuhn, Reutlingen

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