Wilbirg Rossrucker weiß nur zu gut, unter welchen Bedingungen Prostituierte arbeiten müssen. Die gebürtige Österreicherin leitet das HoffnungsHaus im Stuttgarter Rotlichtviertel. Die evangelische Einrichtung will ein Stück Hoffnung ins Rotlichtmilieu bringen. „Wir versuchen, die Frauen zu stabilisieren für den Alltag. Wir wollen ihnen wenigstens einmal am Tag Gutes tun und ihnen vermitteln: Du bist wertvoll und von Gott geliebt – egal, was du machst.“

Aber diese Botschaft komme bei den Frauen nur schwer an. Wilbirg Rossrucker beschreibt die Fragen, die sie bewegen so: „Wie soll mich Gott lieben? Ich liebe mich doch nicht einmal selbst?!“

15-20 Freier am Tag, um zu überleben

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen seien von Ausbeutung geprägt. Oft wüssten sie nicht, in
welcher Stadt sie sich befinden, weil sie jede Woche woanders hingebracht werden, erzählt Wilbirg Rossrucker im Podcast-Gespräch mit Pfarrer und Journalist Steffen Kern. Zudem müssten die Frauen 100 bis 150 Euro am Tag für ein kleines Zimmer bezahlen, das ihnen der Zuhälter zur Verfügung stelle. Das sind 3.000 bis 4.500 Euro im Monat. Wilbirg Rossrucker betont: „Um ihr Leben halbwegs aufrechterhalten zu können, müssen sie 15-20 Freier am Tag bedienen. Von dem oft gezeichneten Idealbild, dass Prostituierte selbstbestimmt sind und viel Geld verdienen können, erlebe ich hier in der Stadt nichts.” Für Wilbirg Rossrucker ist es unerklärlich, wie wir diese Form moderner Sklaverei mitten in unseren Städten dulden. „Ich habe es schon erlebt, dass eine Nummer ab 2 Uhr nachts für 8 Euro angeboten wurde. Wer absolut verzweifelt ist, weil er z. B. drogenabhängig ist, macht es schon für 5 Euro.“

Forderung: „Wir brauchen ein Sexkaufverbot”

Die aktuelle Freierstudie aus dem Jahr 2022 habe gezeigt, so Rossrucker, dass über 80 Prozent der Männer wissen, dass die Frauen ihre Arbeit nicht freiwillig machen. Trotzdem ändere sich nichts, weil die Freier nichts zu befürchten haben und es keine kriminelle Tat ist, ins Bordell zu gehen. Deshalb fordert die Leiterin des Stuttgarter Hoffnungs-Hauses ein Sexkaufverbot nach dem nordischen Modell in Deutschland. Dieses Modell wurde zuerst 1999 in Schweden eingeführt. Seitdem beispielsweise auch in
Norwegen, Island, Frankreich oder Israel. Es bestraft die Freier, also den Sexkauf, und nicht die Prostituierten.

Wilbirg Rossrucker im Podcast „Hoffnungsmensch“

Wilbirg Rossrucker vergleicht das Verhalten mit der Einhaltung der Straßenregeln: „Wenn ich durch Stuttgart fahre und weiß, dass kein Blitzer scharf geschaltet ist, dann bin ich die Erste, die ein bisschen Gas gibt.“ Sie betont: „Wenn es keine Konsequenzen hat, ändert sich das Verhalten nicht. So ist es auch mit der
Prostitution.“ Wilbirg Rossrucker geht davon aus, wenn „ich weiß: Prostitution ist verboten, dann überlege ich mir zweimal, ob ich ins Bordell gehe”.

Trotz kritischer Punkte überwiegen für Wilbirg Rossrucker die Vorteile eines Sexkaufverbots. Es brauche aber flankierende Maßnahmen, wie Präventionsarbeit. „Es muss schon in den Schulen vermittelt werden, dass das so nicht weitergehen kann und weitere Hilfsangebote für die Frauen werden benötigt.“

Achim Stadelmaier, Redakteur im Evangelischen Medienhaus Stuttgart

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