Konzerte nationalen Ausmaßes

Neben dem Messias von Händel und dem Weihnachtsoratorium von Bach rangiert vermutlich „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn auf Platz 3 der meistaufgeführten Oratorien.
Haydn war 63 Jahre alt und durch die Auflösung der Kapelle seines Fürsten Nikolaus von Esterhazy ein freier Mensch und Komponist geworden. Zwischen 1791 und 1795 unternahm Haydn zwei Reisen nach London, in das damalige Mekka der klassischen Musikszene. Dort erlebte er im Rahmen der jährlichen Händelfestspiele u. a. eine Aufführung des „Messias“ in Westminster Abbey. Er war mehr als beeindruckt. Alle Gesellschaftsschichten, vom Mittellosen bis zum König, waren vor Gott versammelt, teilten miteinander emotional das klingende Gotteslob. Raum und Musik verbanden sich zu einem erhebenden Erlebnis, evtl. vergleichbar mit der Atmosphäre bei den Klassikkonzerten von BBC-Proms in der Royal Albert Hall London, Open-Air-Festivals oder auch dem Chormusical „Luther“ in den Eventhallen und Stadien Deutschlands Das große Gemeinschaftsgefühl beim Hören der Schöpfung nach Joseph Haydn hält bis heute an und ist ein Beispiel, wie der Bibeltext der Genesis durch eine geniale Komposition auch außerhalb der Kirche Verbreitung findet und die Botschaft verkündet.

Joseph Haydn (1732-1809) in einem Ölgemälde von Thomas Hardy aus dem Jahr 1791
Überwältigender Blick ins Universum – „täglich fiel ich auf die Knie“

Haydn suchte nach einem deutschsprachigen Libretto von „Ewigkeitswert“, das eine vergleichbare Publikumsbegeisterung für großbesetzte abendfüllende geistliche Werke auslösen würde. Man übergab ihm in London das Textbuch „The Creation“, basierend auf dem Epos „The paradise lost“ von John Milton, das Haydn in Wien von Baron van Swieten, Kultusminister unter der Regierung Jospeh II., ins Deutsche übersetzen ließ. Haydn hatte in London als einer der ersten seiner Zeit mit einem Teleskop ins All schauen dürfen. Die vielen neuen Erkenntnisse der Wissenschaft veränderten gravierend das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Der vor aller Kreatur mit der Erkenntnis göttlichen Wirkens begabte Mensch tat sich
zusehends schwerer mit mystischen Gotteserfahrungen und der christlichen Erlösungstheologie. Haydn hingegen war jedoch durch und durch gläubiger Katholik und wob neben plakativ deskriptiver Tonmalerei auch verborgene Momente mystischer Versenkung und musikalische Anspielungen an das unerklärbare
Wirken Gottes in seine Komposition.

„… ich war nie so fromm als während der Zeit, da ich an der ‚Schöpfung‘ arbeitete; täglich fiel ich auf die Knie …“

Joseph Haydn
Wirkungsgeschichte von Chaos und Licht der Erkenntnis

Drei Jahre komponierte Haydn an „seiner“ Schöpfung. Am Anfang des Oratoriums galt es, die noch menschenlose chaotische Welt musikalisch darzustellen. Bis zur Uraufführung verbarg Haydn das Notenblatt von der „Erschaffung des Lichtes“. Die Wirkung dieser Stelle auf die Wiener war so überwältigend, dass die Musiker minutenlang ihr Spiel nicht fortsetzen konnten. Zeugnisse großer Rührung und Ergriffenheit sind überliefert. Das Werk verbreitete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit
über alle Länder Europas. Sicher liegt das auch an der Einfachheit und Klarheit der biblischen Bilder und der Erzählperspektive der drei Erzengel, die die Entstehung der Schöpfung so erzählen, als wären sie selbst dabei gewesen, Botschafter einer unendlichen Geschichte.

Matthias Hanke
Landeskirchenmusikdirektor

Diesen Beitrag teilen