Wie bewerten wir Pandemien, Katastrophen und Veränderungen in unserer Welt? Welches Gewicht bekommt, was wir in unserer Zeit durch Medien wahrnehmen? Zerbricht die Erde, und ist es so schlimm wie noch nie? Ein Blick in die Vergangenheit hilft uns, die heutigen Zustände in Relation mit der Geschichte zu setzen. Erstaunlich, was schon alles auf dieser Erde geschehen ist …

Das große Imperium Romanum war seit Jahr zehnten in einer Regierungskrise. Senatoren erkämpften sich mittels Bürgerkriege die Macht. Ständig neue Kaiser lähmten sich gegenseitig. Die Zeit der „Soldatenkaiser“ schwächte das Reich an seinen Außengrenzen, die von Feinden bedrängt wurden. Manche Historiker urteilen positiv und sehen diese Zeit als Transformationsphase von der Antike hin zur Spätantike. Erst Dio kletian (Kaiser von 284-305) gelangen umfangreiche Reformen. Er erneuerte das Heer, reformierte die Verwaltung, ließ Rechtsbücher verfassen, vereinheitlichte die Reichswährung. Aber – wo gewonnen wird, wird auch verloren: 303 stieß er die letzte große, verheerende Christenverfolgung im weströmischen Reich an.

1347 begann die schwerwiegendste Epidemie, die Europa jemals heimsuchte: Die Große Pest, der schwarze Tod, tötete 25 Millionen Menschen. Die Schuld suchte man in der jüdischen Bevölkerung, zahlreiche Pogrome folgten. Wirksamer war jedoch die vierzigtägige Quarantäne (vom lateinischen Quadra ginta = „vierzig“). Historiker sind sich heute weitgehend einig: Dass zahllose Arbeitskräfte fehlten, begünstigte die Erfindung des Buchdrucks.

Als Sklave wird der vierjährige Amo an Bord eines Schiffes der niederländischen Westindien-Kompanie aus dem heutigen Ghana nach Amsterdam verschleppt. Von dort wird er, von allen Freunden verlassen, als „Hofmohr“ an den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel weiter verschenkt. Möge er sich mit ihm schmücken. Doch Herzog Anton Ulrich hat andere Pläne, er fördert den kleinen Jungen. Schon bald spricht Anton Wilhelm Amo fünf Sprachen. 1727 schreibt er sich an der Univer sität Halle ein – als erster schwarzer Student. Er promoviert in Philosophie. 1738 habilitiert er, hält Vorträge zur den „Rechten der Schwarzen in Europa“. Doch er ist seinem Konti nent voraus. Westliche „Vordenker“ wie Immanuel Kant verjagen ihn. Der nächste Student afrikanischer Herkunft wird sich in Halle erst 220 Jahre später einschreiben.

Der große Dichter fühlte sich blockiert, literarisch und persönlich. Das Ministerdasein hatte ihn ausgelaugt. Und so packte der 37-jährige Goethe in aller Heimlichkeit seine Sachen – darunter zahlreiche angefangene, aber nicht abgeschlossene Werke, stieg in die Postkutsche und reiste – zunächst unter falschem Namen – nach Italien. Aus zwei Monaten wurden zwei Jahre. Seiner Mutter schrieb er von unterwegs: „Ich werde als neuer Mensch zurückkommen.“ Und tatsächlich hinterließ die Reise einen einzigartigen, bleibenden Eindruck. An Charlotte schreibt er im Dezember: „ich zähle einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt […]“ Die auf der Reise entstandenen „Römischen Elegien“ zeugen noch heute von der Befreiung eines großen Dichters aus der Enge der eigenen Verhältnisse.

Der Boom der Industrialisierung hatte seine Schattenseiten. Zahllose Arbeiter zogen mit ihren Familien in die Städte, lebten auf wenigen Quadratmetern. Die durchschnittliche Arbeitszeit in den Fabriken lag bei 72 Wochenstunden. Gesundheitsschutz? Fehlanzeige. Arbeiterbewegungen zerrütteten das Kaiserreich. Die wirtschaftliche Depression von 1873 schürte die Unruhe weiter an. 1878 wurde ein Attentat auf Kaiser Wilhelm I. verübt, das Reichskanzler Bismarck der Sozialistischen Arbeiterpartei zuschrieb und Revolutionsängste schürte. Das noch im selben Jahr verabschiedete Sozialistengesetz verbot jegliche sozialistische Organisationen. Doch seinen Blick vor dem Massenelend verschließen, konnte auch Bismarck nicht. Am 15.6.1883 verabschiedete der Reichstag die erste öffentlich-rechtliche Krankenversicherung. Ein Drittel der Versicherungskosten hatte der Arbeitgeber zu tragen.

Etwas mehr als ein Jahrhundert lang wütete die Cholera. Sie legte die sozialen Unterschiede schonungslos offen. In den gedrängten Armenvierteln verbreitete sich die Krankheit mühelos. In Hamburg flohen die Reichen aus der Stadt und schickten den Biologen Robert Koch ins Krisengebiet. Dort machte er die bahnbrechende Entdeckung, dass kleine Erreger die Ursache für Krankheiten waren – eine Grundlage heutiger Medizin.

In Tschernobyl ereignete sich am 26. April 1986 eine Katastrophe. In Block 4 des Atomkraftwerks überhitzte der Reaktorkern und explodierte. Radio aktive Wolken breiteten sich über ganz Europa aus. Hier etwas Positives zu finden, ist schwierig. Dennoch sind heute die Bilder, die zeigen, wie sich die Natur eben den Raum zurückholt, den der Mensch zerstört hat, ermutigend. Weil der Mensch sich zurückgezogen hat, ist die Artenvielfalt im Schutzgebiet ungleich höher als sonst wo in Europa. Seltene Tiere wie die Przewalski-Pferde trotten umher, neuer Wald wächst.

Diese Aufstellung hat nicht den Anspruch, historisch präzise zu sein. Geschichte ist multiperspektiv und multikausal. Wer Ereignisse als Krisenzeiten empfand, wer aus ihr als Gewinner oder Verlierer hervorging – all das sind Fragen der Perspektive. Ebensowenig entspricht es historischem Verständnis, dass ein Ereignis unweigerlich zum nächsten führte. Hier wird lediglich jeweils eine der unzählbaren negativen wie
positiven Folgen genannt, die ein jedes historisches Ereignis nach sich zog.

Tobias Hanßmann ist Referendar für Deutsch und Geschichte

Quellen

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